Designtrend : Kopflose Kerzen
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Die „Torso Candles“ erinnern an eine Antikensammlung. Bild: Kali Home
Der weibliche Torso ist gerade im Interieur allgegenwärtig. Der Frauenkörper als Deko – wie passt das in unsere Zeit?
Manche Trends stellen bisherige Annahmen auf den Kopf – oder verzichten gleich auf ebendiesen. So wie im Falle des weiblichen Torsos, an dem momentan kein Vorbeikommen ist: Ob als große Vase oder als kleine Kerze, üppige Kurven und bloße Brüste haben sich einen festen Platz in der Einrichtung erobert. Dabei, so der spätestens seit der „Me Too“-Debatte augenscheinlich geltende Konsens, sollte doch der weibliche Körper nicht (mehr) als reine Dekoration ausgenutzt und benutzt werden.
Mit dieser Begründung verbannte immerhin die Manchester Art Gallery im Februar 2018 John William Waterhouses Gemälde „Hylas und die Nymphen“ für eine Woche aus seinen Räumen. Fast drei Jahre später musste sich der Bildhauer Luciano Garbati in New York scharfer Kritik für seine – nackte – „Medusa mit dem Haupt des Perseus“ stellen, zeitweise aufgestellt vor einem Gericht in Manhattan (ausgerechnet jenem, in dem der Fall Weinstein verhandelt wurde). Und die Künstlerin Maggi Hambling sorgte im vergangenen Jahr für Unmut, als sie der Feministin und Philosophin Mary Wollstonecraft in London ein unbekleidetes Denkmal setzte.
Nacktheit in der Kritik
Etwa zur selben Zeit bahnte sich ein Interieurphänomen an, das auf den ersten Blick nicht widersprüchlicher zu diesen Protesten anmuten könnte: Erst zierten schlichte, fast schüchtern wirkende Illustrationen stilisierter Brüste so profane Gegenstände wie Blumentöpfe und Kaffeebecher, dann nahmen Vasen die abstrakte Form weiblicher Unterleiber und Kerzen die von ausladenden Dekolletés an. Mittlerweile kommt kaum ein Interieurshop ohne wenigstens eine Kerze in Frauentorso-Form, sogenannte „body candles“, aus.
Einerseits werden Kunstwerke wegen Nacktheit kritisiert, andererseits Wohnaccessoires in Form nackter und auch noch kopfloser Frauenkörper als Trend gefeiert. Wie konnte das passieren? Als eine der wesentlichen Kräfte hinter diesem Phänomen gilt Anissa Kermiche. Die französisch-algerische Designerin, die nach einer Karriere als Softwareingenieurin 2015 ein Schmucklabel gründete und seit 2018 auch Interieuraccessoires entwirft, wurde mit ihren „Love Handles“-Vasen berühmt. Die sind dem weiblichen Körper unterhalb des Bauchnabels nachempfunden, fallen durch einen üppigen Po und eine sehr schmale Taille auf.
Ob mit oder ohne Blumen darin, die Vasen sind Hingucker – und damit ein Segen für Instagram-Nutzer mit großer Reichweite, die ihre Fotos seit der Pandemie statt an Traumstränden und in Luxushotels vor allem zu Hause machen müssen. Ist im Wohnzimmer gleich mehrerer als Stilvorbilder geltender Influencer dasselbe Accessoire zu sehen, entsteht in kürzester Zeit eine Begehrlichkeit. So auch im Fall Kermiche. In der britischen „Harper’s Bazaar“ erklärte sie ihren Erfolg aber auch als eine fast logische stilistische Konsequenz. Illustrationen von Körpern, vor allem im minimalistischen Line-Art-Stil, seien seit einigen Jahren ein häufiges Designelement: „Unsere skulpturalen Stücke sind nur eine neue Interpretation davon.“