Gebrauchte Bauteile : Wer will unseren Fahrstuhl?
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Der Aufzug im Redaktionsgebäude durchbricht die Glasdecke. Bild: Ilkay Karakurt
Die F.A.Z. zieht um, und die alten Gebäude müssen einem neuen Quartier weichen. Ziel ist, viele Bauteile zu retten. Eine Bestandsaufnahme voller Wehmut.
Fast zwei Jahrzehnte in diesem Gebäude, aber so genau habe ich den Bodenbelag in der Lobby noch nie betrachtet. Wie fest die rechteckigen Granitplatten wohl aneinanderkleben? Diese Frage könnte über ihr Schicksal entscheiden. Wenn sie sich voneinander lösen lassen, bekommen die grau melierten Platten möglicherweise noch ein zweites Leben in einem anderen Gebäude geschenkt. Hängen sie zu fest aneinander, werden sie zerkleinert und landen bestenfalls als Zuschlagstoff im Straßenbau.
Zunächst aber wird ihr Zustand begutachtet, sie werden vermessen und gezählt und das Ergebnis dann in ein Materialinventar eingetragen. Dort stehen sie dann in einer langen Liste neben Leuchten, Abhangdecken und Treppengeländern – lauter Bauteilen, die an diesem Ort bald keiner mehr braucht.
Die F.A.Z. zieht um. Redaktion, Verlag und Tochtergesellschaften verlassen den Standort an der Frankfurter Galluswarte und machen Platz für ein neues Quartier. Wo heute recherchiert, geschrieben und gerechnet wird, entstehen rund 600 Wohnungen, neue Büros, Geschäfte, zwei Kitas und eine Grundschule. Während die Mitarbeiter ihre Büros ausmisten und überlegen, was mit ins neue Hochhaus ziehen darf, sichtet das Start-up Concular im Auftrag der Bauherren die Gebäude, die abgerissen werden.
Concular soll möglichst viele Schätze davor bewahren, auf der Deponie zu landen. Dafür nehmen die Mitarbeiter alle Bauelemente auf, die sich wiederverwenden lassen. Im zweiten Schritt vermittelt das Start-up über eine digitale Plattform die ausgebauten Ziegel, Platten oder auch Treppengeländer an neue Abnehmer – eine Internetbörse für gebrauchte Baustoffe. Architekturbüros können in der Datenbank nach Teilen suchen, die sie für neue Projekte benötigen. Finden sie das Passende, kümmert sich Concular darum, dass die alten Baustoffe zur Neubaustelle kommen, und misst das eingesparte CO2 sowie den vermiedenen Müll. Der Treiber, den alten Teilen eine zweite Chance zu geben, ist bisher vor allem die Nachhaltigkeit. Denn in ihnen steckt jede Menge graue Energie – CO2 und auch Material, das einst verbraucht wurde, um die Bauteile zu produzieren und an diesen Ort zu bringen. Ganz zu schweigen von der körperlichen und geistigen Arbeit, die Menschen einst geleistet haben, bis dieses Gebäude einmal stand.
Jetzt stehe ich zum wievieltausendsten Mal wohl in der hohen Eingangshalle der Redaktion und schaue empor. Aber zum ersten Mal betrachte ich die Treppenstufen, das Geländer und den Fahrstuhl mit dem Blick eines Verwerters. Obwohl ich mich schon so oft über diesen Fahrstuhl geärgert habe, weil er wieder nicht funktionierte, schmerzt mich der Gedanke, dass er schon bald Sondermüll sein könnte. Das Redaktionsgebäude ist aus den Achtzigerjahren, ein Kind seiner Zeit. Auf diese Art plant und baut heute keiner mehr. Die riesigen Glasflächen führen dazu, dass man praktisch immer auf Fensterputzer im Haus trifft. Dafür ist die Lobby tageslichthell. Die breiten langen Flure in der Redaktion kann man für Platzverschwendung halten. Aber wir haben dort vor Corona auch die besten Partys gefeiert.
Welchen Einfluss die Architektur in den vergangenen Jahrzehnten wohl auf die Texte hatte? Hat es den Ton im Sportressort geprägt, dass die Kollegen im obersten Stock den weitesten Blick haben? Und wäre die Trennung zwischen Verlag und Redaktion vielleicht weniger strikt, müsste man nicht die Straße überqueren, um die Kollegen aus dem jeweils anderen Bereich zu treffen?
Annabelle von Reutern blickt sich um und seufzt. Einfach wird es wohl nicht, Liebhaber für die Bauteile im Eighties-Look zu begeistern. „Mir persönlich gefallen Sachen, die zeittypisch sind, total gut“, sagt die Architektin, die für Concular die Bestandsaufnahme begleitet. „Aber dieses Projekt wird eine Herausforderung, weil es sehr speziell ist.“ Damit diese Treppengeländer anderswo wieder eingebaut werden können, müsste der Architekt von Anfang an mit ihnen planen. „Künftig muss die Form der Verfügbarkeit des Materials folgen“, sagt von Reutern in Analogie zum Designleitsatz form follows function, wonach sich die Gestalt vor allem an der Funktion orientieren soll.