Camposanto in Thüringen : Im letzten Garten
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Zeigen, was man hat
Beinahe täglich ist Erich Reiche auf dem Gelände unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Der Camposanto ist eine Herzensangelegenheit für den engagierten Buttstädter. Wer den Friedhof besuchen möchte, kommt an dem sympathischen 68-Jährigen ohnehin nicht vorbei. Das graue Flügeltor des Eingangs ist meist abgeschlossen. Der mächtige alte Schlüssel mit dem kleinen Spendenbeutel hängt in Reiches Hof gut 150 Meter vom denkmalgeschützten Gottesacker entfernt. Wer es weiß, der nimmt ihn sich einfach und bringt ihn dann auch zurück. Wer es nicht weiß, der meldet sich telefonisch bei Reiche und bekommt die Infos zum Schlüssel.
Der monumentalste Camposanto befindet sich in Pisa und beeindruckt mit großer Marmorpracht. In Ostdeutschland gibt es diesen Friedhofstypus nur noch in Halle an der Saale und der Lutherstadt Eisleben. Der Hallenser Camposanto gilt als Meisterwerk der Renaissance nördlich der Alpen. Er besteht aus vier Arkadengängen und ist komplett erhalten. In Eisleben waren einst auch vier Flügel geplant, am Ende wurden aber nur Süd- und Ostflügel gebaut. „In Buttstädt gehen wir davon aus, dass aufgrund des abschüssigen Geländes von vornherein nur zwei Arkaden- oder Begräbnisgänge angelegt werden sollten“, mutmaßt Reiche. „Buttstädt bleibt als kleine Gemeinde mit knapp 2500 Einwohnern aber schon besonders, weil man heute nur schwer erfasst, warum ausgerechnet hier so ein würdiger Ort entstanden ist.“
Buttstädts Glanz und Ruhm gründet sich auf Ochsen- und später Pferdemärkte. Bis zu 30.000 Tiere wurden im Spätmittelalter auf den übervollen Marktplätzen vor und in der Stadt verkauft. Es muss ein Gewimmel ohnegleichen gewesen sein. Nicht nur die Steuern für die Tierverkäufe brachten Umsatz in die Stadt. „Die Händler brauchten sicher nicht viel, vielleicht nur Hemd, Hosen, Essen, Trinken sowie eine Herberge für sich und Futter und Wasser für die Tiere“, erzählt Erich Reiche. „Aber das Markttreiben brachte Reichtum in die Stadt.“ Mit dem Friedhof wollten die Buttstädter zeigen, was sie hatten. Bis weit über den Tod hinaus. Wobei es anders als in Pisa nicht das gesellschaftliche „Who’s who“ der Stadt war, das man hier begraben findet. Es sind Ehrenfamilien, aber auch ganz normale Leute.
1861 findet die letzte Beisetzung statt, dann kehrt Ruhe ein. Zwar wird der Gottesacker fast 150 Jahre offen gelassen, etwas gepflegt, aber irgendwann sind die Pfleger selbst Pflegefälle oder bereits gestorben. Der Friedhof wird endgültig geschlossen, ein neuer wenige Meter entfernt angelegt. Nach der Schließung blieb der Camposanto bis heute in seiner Grundform und Gestaltung fast unverändert. Die Mauer hinderte Vandalen daran, die Fläche zu betreten. Lediglich ein Pächter nutzte die Fläche als Weide für Hühner und lagerte sein Heu auf den Dachböden der Begräbnishallen. 1921 war der Zustand der Gebäude und Mauern so baufällig, dass eine Abtretung des Friedhofsgeländes an die politische Gemeinde im Gespräch war. Die Kirchgemeinde lehnte aber dankend ab.
Baulich gab es über die vergangenen Jahrzehnte immer mal größere wie kleinere Reparaturen. „Dass der Alte Friedhof so erhalten ist, muss vor allem dem damaligen Eigentümer, der evangelischen Kirchgemeinde in Buttstädt, zugerechnet werden, welche über Jahrzehnte eine Nutzung durch die Öffentlichkeit verhinderte“, urteilt Martin Baumann. „Hinzu kommt das große ehrenamtliche Engagement in Buttstädt. Ohne diese Hilfe wäre die denkmalgeschützte Anlage längst zerfallen.“
Mit der Wende wurde das Denkmal zu großen Teilen wiederhergestellt. Erich Reiche selbst war damals als Bauleiter tätig und bemühte sich mit Leibeskräften, den Friedhof vor dem Verfall zu bewahren. Die alten handgestrichenen Bieberschwänze wurden ersetzt, das Dach mit seiner Holzkonstruktion, der Turm und die Sandsteinsäulen in den Arkaden überholt. Dann wurden die ersten Grabsteine und -platten restauriert. „Die frappierenden Schäden hat die aufsteigende Nässe aus dem Erdboden an verschiedenen Grabsteinen verursacht. Vor allem Salze haben Sockel, Füße oder Grabsteine beschädigt.“ Schließlich kamen auch schmückende Vasen, eiserne Kreuze und steinerne Figuren in Werkstätten. Der Zahn der Zeit nagt weiter an diesem bedeutendsten Friedhof Thüringens, aber er wird sich 2021 als ungewöhnlichster Außenstandort der Bundesgartenschau von seiner besten Seite zeigen. Als Kleinod mit großer Magie und als Garten der Erinnerung.