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Für Seebären und Landratten

Von BIRGIT OCHS, Fotos ANDREAS PEIN

18.10.2018 · Was tun, wenn man sech­zig ist? Zum Bei­spiel Boots­bau ler­nen und sich ei­nen Zweit­wohn­sitz am Was­ser bau­en.

W oh­nen, wo an­de­re Ur­laub ma­chen, ist ei­ne die­ser Phra­sen, die man ei­gent­lich gar nicht den­ken will, ge­schwei­ge denn schrei­ben. Lei­der pas­siert es dann doch. Zum Bei­spiel wäh­rend ei­ner Fahrt durch ein See­bad im Bran­den­bur­gi­schen. Im­mer ge­ra­de­aus geht es da­hin auf dem fast end­los wir­ken­den Damm, der ei­ne von Ein- und Zwei­fa­mi­li­en­häu­sern ge­säum­te Sack­gas­se ist. Rent­ner­grüpp­chen in Grau und Beige spa­zie­ren vor­bei an Fas­sa­den in kräf­ti­gem Li­la oder Oran­ge, an Säu­len­de­kors und der­glei­chen bau­li­chen Aus­ru­fe­zei­chen mehr. Da­mit ver­gli­chen, nimmt sich das Haus von Bet­ti­na und Lars Her­feldt blass aus. Zart silb­rig glänzt die Fas­sa­de im spä­ten Vor­mit­tags­licht. Die Bli­cke zieht der ein­ge­schos­si­ge Bau am Damm über dem Schar­müt­zel­see trotz­dem auf sich. Denn der me­tal­li­sche Schim­mer weckt die Neu­gier­de auf das Ma­te­ri­al, aus dem das Haus ge­baut wur­de. Da­zu kommt, dass die Ge­stalt das üb­li­che Käst­chen­sche­ma sprengt.

Mit Hang zum Wasser: Bauherr Lars Herfeldt Foto: Andreas Pein

Das liegt zum ei­nen dar­an, dass die stumpf­wink­li­gen Au­ßen­wän­de mit dem gän­gi­gen Er­schei­nungs­bild bre­chen. Zum an­de­ren sitzt oben­auf ein weit aus­kra­gen­des, aber nur schwach ge­neig­tes Dach aus Zink­blech. Wor­an das Gan­ze er­in­nert? Schwer zu sa­gen. Viel­leicht an ein Club­haus oder an ein Zir­kus­zelt. Man könn­te aber auch ei­nen kopf­ste­hen­den Kahn er­ken­nen.

Wie dem auch sei, an­ge­fan­gen hat al­les da­mit, dass Lars Her­feldt mit sech­zig Jah­ren nach Eng­land ging, um Boots­bau zu ler­nen. Sei­nem vor­he­ri­gen Be­ruf hat­te er aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den den Rü­cken ge­kehrt. Ans Was­ser und aufs Boot zieht es den heu­te fast Sieb­zig­jäh­ri­gen schon im­mer, und so hat Her­feldt, der in sei­ner Ju­gend Schrei­ner ge­lernt und nun als Rent­ner die gro­ße Frei­heit vor sich hat­te, sich eben noch mal ein Hand­werk an­ge­eig­net. Als er dann samt selbst­ge­bau­tem Mo­tor­boot aus Eng­land zu­rück nach Ber­lin kam, stand für ihn fest: Wir brau­chen ein Do­mi­zil am Was­ser! Ei­nen Zweit­wohn­sitz zur Alt­bau­woh­nung im Wes­ten Ber­lins.

Freun­de mach­ten das Ehe­paar auf ein knapp 700 Qua­drat­me­ter gro­ßes Grund­stück am Schar­müt­zel­see auf­merk­sam, nicht di­rekt am Ufer, aber so dicht am Was­ser ge­le­gen, dass man den See zu Fuß schnell er­reicht. Her­feldts wa­ren an­ge­tan. Das Mär­ki­sche Meer, wie der Dich­ter Theo­dor Fon­ta­ne einst den See nann­te, ist Teil der gut 33 Ki­lo­me­ter lan­gen Bun­des­was­ser­stra­ße Stor­kower Ge­wäs­ser. Lars Her­feldt könn­te von hier mit dem Boot bis in die Haupt­stadt fah­ren – und noch wei­ter bis rauf zur Ost­see. Ein Häus­chen in so schö­ner La­ge und das nicht mal an­dert­halb Stun­den vom Zu­hau­se in der Groß­stadt ent­fernt – was will man mehr? Her­feldts grif­fen zu. Al­ler­dings stell­te sich her­aus, dass sie nicht nur das Bau­land, son­dern auch das We­ge­recht er­wer­ben muss­ten, da der Weg zum Grund­stück nicht öf­fent­lich war. „Sol­che Kos­ten fal­len ins Ge­wicht“, sagt der Bau­herr.

Das Ehe­paar wünsch­te sich ein hel­les, lich­tes Holz­haus. „Aber auf kei­nen Fall rus­ti­kal, eher skan­di­na­visch“, stellt Her­feldt klar. Mit Skan­di­na­vi­en ver­bin­det ihn viel, vor al­lem mit Nor­we­gen, wo­her sein Va­ter stamm­te. Ent­spre­chend wünsch­te er sich auch ei­nen zen­tra­len Wohn­raum mit Herd und Ofen. „Woh­nen fängt mit dem Platz am Feu­er an“, sagt Her­feldt.

Das tiefgezogene Dach schirmt die Terrasse ab.

Die­sen Wunsch ha­ben die Pla­ner von Mo­der­sohn & Frei­es­le­ben als Aus­gangs­punkt ge­nom­men: Herz des Hau­ses ist ein Raum von mehr als 50 Qua­drat­me­ter Wohn­flä­che, der Kü­che, Wohn- und Ess­zim­mer in ei­nem ist. Die skan­di­na­vi­schen De­sign-Klas­si­ker, mit de­nen er mö­bliert ist, neh­men sich dar­in be­son­ders zart aus. Dem Mo­bi­li­ar fehlt je­de Wuch­tig­keit. Sei­nen be­son­de­ren Cha­rak­ter er­hält der Raum durch drei wei­te­re Zu­ta­ten. Ers­tens durch die lan­ge Kü­chen­zei­le, de­ren Fron­ten der ge­lern­te Schrei­ner selbst ge­baut hat – aus Mul­ti­plex­holz mit Ei­chen­fur­nier. Zwei­tens durch die dar­über­hän­gen­de Bil­der­se­rie, die vom Schwie­ger­sohn der Bau­her­ren, ei­nem Künst­ler, stammt, und die kräf­tig und wohl­tu­end Far­be in den Raum bringt. Drit­tens, und hier kommt die Ar­chi­tek­tur ins Spiel, durch den Dach­stuhl. Mit ih­ren fi­li­gra­nen Schei­ben aus höl­zer­nen Drei­schicht­plat­ten, die den Dach­first aus­stei­fen, er­in­nert die Kon­struk­ti­on an die Schot­ten ei­nes um­ge­dreh­ten Boots. Für das Haus ei­nes Boots­bau­ers ist das ei­ne pas­sen­de Re­fe­renz.

Schön praktisch: Gästezimmer
Typ Zirkuszelt - oder eher Clubhaus?
Gut organisiert: die Werkstatt
Der Wohnraum wirkt durch die große Glasfront noch geräumiger.


„Wie die Scha­le um den Kern lie­gen um die­sen Raum zwei Schlaf­zim­mer auf der ei­nen Schmal­sei­te, da­zu ein Bad, wäh­rend Wirt­schafts­raum und Werk­statt an der an­de­ren an­ge­sie­delt sind“
er­läu­tert Ar­chi­tekt Mo­der­sohn den Grund­riss.

So groß­zü­gig der zen­tra­le Raum ist, so kom­pakt sind die Schlaf­zim­mer mit den Ein­bau­schrän­ken, die der Haus­herr eben­falls selbst ent­wor­fen und ge­baut hat. Ge­räu­mi­ger ist da­ge­gen die Werk­statt, in der Her­feldt nun Ka­jaks baut. Von hier, wie auch vom Schlaf­zim­mer aus, bli­cken die Be­woh­ner in den Gar­ten. Zu die­sem hin öff­net sich auch der gro­ße Wohn­raum, vor dem ei­ne über­dach­te Ter­ras­se liegt. Ihr Pen­dant be­fin­det sich an der an­de­ren Sei­te des Hau­ses. Dort er­reicht man die bei­den Haus­ein­gän­ge über ei­ne Ve­ran­da.

D as Dach schirmt nicht nur die­se Au­ßen­räu­me ge­gen Re­gen und Schnee ab, es spen­det auch Schat­ten. Vor al­lem in die­sem lan­gen Som­mer ha­ben die Her­feldts da­von pro­fi­tiert. „Es ist im Grun­de ein ein­fa­ches Haus, aber gut aus­ge­tüf­telt“, lobt der Bau­herr. Auch im Win­ter ha­be sich der Bau be­währt. „Das Raum­kli­ma ist an­ge­nehm, die Heiz­kos­ten sind mo­derat.“ Auf ei­ne auf­wen­di­ge Haus­tech­nik ha­ben die Pro­jekt­part­ner ver­zich­tet, da­für hät­ten sie viel Wert auf die Ma­te­ri­al­wahl ge­legt, sagt der Ar­chi­tekt. Un­term Dach aus Ti­t­anz­ink­blech dämpft ei­ne so­ge­nann­te An­tid­röhn­mat­te das Pras­seln des Re­gens. Zu­dem wur­de für den ge­sam­ten Holz­stän­der­bau ei­ne mi­ne­ra­li­sche, dif­fu­si­ons­of­fe­ne Wär­me­däm­mung ge­wählt. Ob­wohl der Haus­herr vor dem Ru­he­stand vie­le Jah­re in der Holz­fens­ter­bran­che tä­tig war, ent­schie­den sie sich in die­sem Fall für Holz-Alu­fens­ter, die sich nach au­ßen öff­nen las­sen. „Al­ler­dings für skan­di­na­vi­sche, mit ei­nem sehr gu­ten U-Wert von 0,55“, er­gänzt Jo­han­nes Mo­der­sohn. Dass der Holz­bau sich im Som­mer nicht un­an­ge­nehm auf­heizt, lie­ge am mit Epo­xid­harz be­schich­te­ten Es­trich­fuß­bo­den und den tra­gen­den Wän­den, die Küh­le spei­cher­ten.

Ver­hält­nis­mä­ßig lan­ge ha­ben Bau­her­ren und Ar­chi­tek­ten über die Fas­sa­den­ge­stal­tung nach­ge­dacht. Für Holz­häu­ser, bei de­nen das Ma­te­ri­al nicht hin­ter ei­nem Wär­me­dämm­ver­bund­sys­tem ver­schwin­det, wird oft ei­ne ho­ri­zon­ta­le Lat­tung ge­wählt. In die­sem Fall je­doch ent­schie­den sich die Pro­jekt­part­ner für 1,25 mal 3 Me­ter gro­ße Drei­schicht­plat­ten aus Lär­che, mit de­nen das In­nen­le­ben der Wän­de ver­klei­det wur­de. An den Naht­stel­len zwi­schen zwei Plat­ten sitzt je­weils ei­ne schma­le Lat­te. De­ren La­sur ist von dunk­le­rem Grau als die der Drei­schicht­plat­ten. Das struk­tu­riert. Als Haupt­far­be wur­de ei­ne La­sur mit silb­rig-me­tal­li­schem Glanz ge­wählt, wo­durch der Bau­stoff künst­lich ver­graut. „Ich war acht­und­sech­zig beim Bau, da will man ja nicht mehr ewig war­ten, bis das Holz von al­lein ge­al­tert ist“, lacht Her­feldt.

Grundriss Modersohn und Freiesleben Architekten

Das Haus kurz und knapp

Bau­jahr 2016
Bau­wei­se Holz­stän­der­bau
En­er­gie­kon­zept Mi­ne­ra­li­sche Däm­mung; So­lar-An­la­ge, bi­va­len­ter Was­ser­spei­cher und Gas­brenn­wert­ther­me
Wohn­flä­che 131 Qua­drat­me­ter
Grund­stück 700 Qua­drat­me­ter
Bau­kos­ten (oh­ne Grund­stück) 327.000 Eu­ro (net­to)
Stand­ort Bran­den­burg

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Auch bei der Gar­ten­ge­stal­tung ha­ben er und sei­ne Frau schnell Tat­sa­chen ge­schaf­fen. Im zwei­ten Jahr nach dem Ein­zug sind die Grün­flä­chen rund ums Haus kom­plett an­ge­legt. Acht­und­zwan­zig Ton­nen Kies hät­ten die Ar­bei­ter auf dem Are­al aus­ge­bracht, das müs­se man sich mal vor­stel­len, sagt Her­feldt. Man darf sich den Gar­ten der bei­den al­ler­dings nicht als öde Schot­ter­land­schaft vor­stel­len. Im Ge­gen­teil wur­de kräf­tig ge­pflanzt. „Wir wol­len den Gar­ten ja ge­nie­ßen“, sagt Her­feldt. Gut die Hälf­te des Jah­res ver­bräch­ten sie in ih­rem Haus am See, auf den man vom Gar­ten aus im­mer­hin ei­nen klei­nen Aus­blick hat. Manch­mal fra­ge er sich, ob sie nicht doch hät­ten hö­her bau­en sol­len, des Pan­ora­mas we­gen, räumt er ein. „Aber den Platz hät­ten wir ja gar nicht ge­braucht“, gibt er sich selbst die Ant­wort. Und das Was­ser hat er auch so fast vor der Haus­tür.

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Quelle: F.A.S.

Veröffentlicht: 18.10.2018 12:15 Uhr