In neuem Gewand
ANNA-LENA NIEMANN28.07.2017 · Seit Jahrtausenden bauen Menschen auf Backstein. Jetzt zeigt sich der Baustoff von seiner modernen Seite – und macht Stahl, Beton und Glas Konkurrenz.
D ie Freude war groß, als die Unesco die Hamburger Speicherstadt und das Chilehaus des berühmten Architekten Fritz Höger 2015 als Weltkulturerbe anerkannte, als erste Bauten in der Stadt überhaupt. Umso mehr, da die geadelten Ikonen der Backsteinarchitektur alles andere als museale Überbleibsel sind. Ihre zeitlose Ästhetik und die beständige Bausubstanz sorgen dafür, dass hier seit mehr als 130 Jahren gearbeitet, gewohnt und gelebt wird. Galt der Turmbau zu Babel noch als Symbol menschlicher Hybris, verkörpern Backsteinbauten heute historische Beständigkeit, kulturelle Errungenschaften und meisterliches Handwerk. Von der chinesischen Mauer über die Basilius-Kathedrale in Moskau bis zur Royal Albert Hall in London – ihnen allen gibt dieser Baustoff ihr Gesicht.
Dass die gebrannten Ziegel aus Ton oder Lehm keineswegs nur ein Material der Vergangenheit sind, illustrieren zwei neue Bildbände. Autor Philip Jodidio schlägt dabei einen großen Bogen und zeigt in seiner zweibändigen Ausgabe hundert Backsteinbauten des 21. Jahrhunderts. Vom 8,6 Quadratmeter kleinen Häuschen in San Francisco bis zum 48000 Quadratmeter umfassenden Landesarchiv Nordrhein-Westfalens, vom neuen Student Centre der London School of Economics bis zur malawischen Entbindungsstation – Backstein kleidet sie alle ein.
Die Vielfalt der Ziegel wird nicht zuletzt an den Wohnhäusern deutlich. Beim „Brick House“ in Rosario in Argentinien springen die Fassadendurchbrüche sofort ins Blickfeld, spätestens wenn die Lichter in der Dämmerung durchs Mauerwerk scheinen und das Haus wie eine Laterne strahlen lassen. Die eigentlich massive, streng kubische Form des Hauses wirkt dadurch erstaunlich leicht, fast transparent. Die Eigentümer setzten dabei alles auf Rot, entschieden sich auch innen für das rohe Mauerwerk. Zusammen mit Decken und Böden aus unverputztem Sichtbeton blickt man hier auf die puren Materialien der Architektur.
Ganz anders dagegen ein Wohnhaus in Wales: Der Architekt John Pawson überrascht mit einem Gebäude, das so minimalistisch und monochrom anmutet, wie man es Backstein wohl nicht zugetraut hätte. Das Design des „Life House“ sei von japanischer Architektur und Benediktinerklöstern inspiriert, schreibt Jodidio: Außen schwarze Wasserstrichziegel aus Dänemark, innen gebrochene weiße Ziegel unter Decken aus geöltem, weißen Douglasienholz. Insgesamt 80.000 handgefertigte Steine sorgen für ein meditatives Raumgefühl.
Ohnehin, dass Backstein nicht immer rot sein muss, trägt sicherlich zu seiner neuen Popularität bei. Über die Farbe entscheidet in erster Linie die mineralische Zusammensetzung des Tons. Ein hoher Eisenanteil färbt rot, viel Kalk hingegen gelb. Im Grunde hat sich die Rezeptur der Ziegel über die Jahrtausende kaum verändert – die Technik schon. Diese ermöglicht mittlerweile fast unendlich viele Varianten. Angefangen bei den Farben, die durch zugesetzte Stoffe oder Glasuren angepasst werden, spielen die Formate der Steine, die Fugen und nicht zuletzt der Mauerverband eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob ein Haus eher rustikal, modern oder expressiv daherkommt. Ob die Ziegel besandet, bestrahlt oder mit genarbten Walzen bearbeitet wurden, entscheidet zudem über ihre Haptik. Auch Brennvorgang ist nicht gleich Brennvorgang. Ziegel aus dem Stangenpressverfahren sind absolut gleichmäßig und glatt, beim Wasserstrichverfahren werden die Steine wie in einer Kuchenform einzeln gebrannt und erhalten durch Wasser ihre charakteristischen Schlieren. Beim Handschlagverfahren produziert das Trennmittel Sand hingegen sehr grobe und rustikale Steine.
Bei so vielen Möglichkeiten kann der Hausbau leicht zum Entscheidungstrauma werden, die weiße Putzfassade plötzlich doch ganz vielversprechend wirken. An genau diese Zielgruppe richtet sich das Buch „Moderne Einfamilienhäuser aus Backstein“, das kürzlich von Jens Kallfelz und Katharina Ricklefs bei DVA herausgegeben wurde. 27 Häuser von Katalonien über Hamburg bis an den Indischen Ozean sollen auch noch den letzten Backstein-Zweifler überzeugen. Zeitgemäßes Wohnen abseits von Beton, Stahl und Glas sei möglich – vorausgesetzt, man findet das richtige Architekturbüro. Das machen beide Bände deutlich, stellen sie doch die verantwortlichen Architekten an den Anfang der Kapitel. Insofern werben sie nicht bloß für den Baustoff Backstein, sondern vor allem für dessen ästhetischen Einsatz durch fähige Baukünstler, egal ob Newcomer oder Urgestein.
Dieser Ansatz geht auf. Gleich das erste vorgestellte Objekt lädt zu ausschweifenden Phantasien über die Möglichkeiten eines Haustauschs ein. Drei Wohnkuben, entworfen vom spanischen Büro Harquitectes, reihen sich leicht versetzt auf. Der Clou sind die Zwischenräume, die sich dank faltbarer Fensterfronten vollständig zum Garten öffnen lassen und mühelos zwischen Innen und Außen changieren. Für die Fassade fiel die Wahl auf einen natürlichen, hellroten Backstein. Der Farbton passt sich gut in die katalonische Landschaft ein und verleiht dem Haus die so oft beschworene Zeitlosigkeit. Dass Backstein gerade für Einfamilienhäuser ein beliebter Baustoff ist, hängt auch mit seiner guten Energiebilanz zusammen. Als Fassade einer zweischaligen Wand speichern die Steine die Wärme äußerst gut. Im Winter reduzieren sich so die Heizkosten, und im Sommer bleiben die Räume lange kühl. Außerdem schließt sich durch den Brennvorgang bei 1000 Grad und mehr die Oberfläche der Ziegel und versiegelt sie gegen Feuchtigkeit und Schädlinge – ganz ohne den Einsatz von Chemikalien. Witterungsbeständigkeit ist ein globales Verkaufsargument. Auch natürliche Inhaltsstoffe und die meist kurzen Transportwege stützen die Ökobilanz des Backsteins. Doch ganz ohne „Aber“ geht es nicht: Der Brennvorgang der Ziegel ist energieintensiv. Laut Bundesumweltamt werden bei der Produktion einer Tonne Mauerziegel gut 29,1 kg Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Im Vergleich ist es bei Beton, dem Baustoff Nummer eins, allerdings rund dreimal so viel.
Ein weiterer Punkt auf der Habenseite des Backsteins: Er kann gut recycelt werden. Das beweist ein Haus in Bad Saulgau in Oberschwaben. Das Stuttgarter Architekturbüro LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei plazierte ein 375 Quadratmeter großes Anwesen geschickt entlang eines Hanggrundstücks und kleidete die Fassade mit Altziegeln in sanften Hellrot- bis Ockertönen. Die Beständigkeit des Materials, nun schon im zweiten Leben, verlangte ebenso zuverlässige Mitspieler: Hartholz für die Fenster, Naturstein unter die Füße und Decken aus Sichtbeton. „Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden“, schrieb Mies van der Rohe. Richtig spannend wird es, wenn nach zeitgemäßen Antworten auf diesen Gründungsmythos der Architektur gesucht wird – ob asketisch, naturverbunden oder verspielt.
von Jens Kallfelz und Katharina Ricklefs,
DVA, München 2016.
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 28.07.2017 06:30 Uhr
