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Wohlfahrtsindustrie : Heimlich boomt die Hilfe

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Helfende Hände: Die Sozialbranche muss sich auf Personalmangel einstellen Bild: dapd

Nahezu unbemerkt hat sich die Wohlfahrtsindustrie zur zweitgrößten Branche des Landes aufgeschwungen. Unter dem Mantel der Nächstenliebe werden Dutzende Milliarden Euro verteilt.

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          In der Show „Wer wird Millionär“ war die Frage schon 125.000 Euro wert: „Wer ist der größte private Arbeitgeber in Deutschland?“ Siemens? Die Telekom? VW? Nein, alles falsch. Keiner von ihnen beschäftigt hierzulande mehr als 250.000 Mitarbeiter. Größter Arbeitgeber jenseits des Staates ist die Caritas. Der katholische Wohlfahrtsverband hat mehr als eine halbe Million Menschen auf seinen Gehaltslisten und ist damit unangefochtener Spitzenreiter. Auf Platz zwei folgt das evangelische Pendant, die Diakonie, mit rund 450.000 hauptamtlich Beschäftigten. Zusammen mit dem Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden kommen die großen Verbände der deutschen Wohlfahrtsbranche auf rund 1,5 Millionen Angestellte.

          Die Zahl hat sich seit 1970 in etwa vervierfacht. Inzwischen bietet die Wohlfahrtsindustrie nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit mehr Arbeitsplätze als die Autoindustrie (745.000 Mitarbeiter), die Bauindustrie (430.000) und die Landwirtschaft (175.000) zusammen. Lediglich der Einzelhandel mit seinen zwei Millionen Beschäftigten ist noch größer. Gemessen an diesen Zahlen, wird die Bedeutung der Sozialbranche von der Öffentlichkeit kolossal unterschätzt. Das liegt zum Teil daran, wie die Wohlfahrt in Deutschland organisiert ist: Caritas und Co. stellen lediglich Zusammenschlüsse vieler einzelner selbständiger Träger und Einrichtungen dar. Eine zentrale Lenkung, wie sie in der Privatwirtschaft üblich ist, gibt es schlicht nicht.

          Vielmehr sind die Krankenhäuser und Seniorenheime vor Ort rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Einrichtungen. Nur auf freiwilliger Basis sind sie nach oben hin bis zum Spitzenverband auf Bundesebene zusammengeschlossen. „Dies ist ökonomisch am ehesten mit einem Franchise-Unternehmen vergleichbar“, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank zum „Wirtschaftsfaktor Wohlfahrtsverbände“. Da allein diese mehr als 100.000 Einrichtungen in Deutschland betreiben, fällt der Überblick schwer. „Vielfach haben nicht einmal die Chefs der großen Verbände einen Überblick über Umsatz und Ergebniszahlen ihrer Mitgliedsunternehmen“, sagt Wohlfahrtsökonom Dominik Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).

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          Die Intransparenz dürfte zum Teil auch Absicht sein: Wer seine Preise und Profite nicht offenlegt, schützt sich vor unliebsamer Konkurrenz und unerwünschten Nachfragen der Beitrags- und Steuerzahler. Die könnten sich durchaus dafür interessieren, ob ihr Geld immer sinnvoll und effektiv verwendet wird. Selbst die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ist sich da unsicher. „Kein Verbandschef kann bis in die kleinste Niederlassung des Schwarzwaldes seine Hand dafür ins Feuer legen, dass dort alles immer so läuft, wie er sich das wünscht“, formuliert es eine Sprecherin. Unübersichtlich groß ist auch das Betätigungsfeld der Wohlfahrtsverbände und ihrer kommunalen und privaten Konkurrenten.

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