Trauer um berühmten Ökonom : Wirtschaftsnobelpreisträger Reinhard Selten gestorben
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Reinhard Selten Bild: Andreas Pein
Der Mathematiker und Ökonom Reinhard Selten ist tot, wie die F.A.Z. aus seinem Umfeld erfuhr. Er war der bisher einzige Deutsche, der jemals den Ökonomie-Nobelpreis erhalten hat.
Er bezeichnete sich selbst als „wissenschaftssüchtig“, die Wissenschaft war für ihn wie eine Droge, die ihn aber auch quälte. Als bislang einziger deutscher Forscher erhielt Reinhard Selten den Wirtschaftsnobelpreis. Ob ihm das Forschen Spaß gemacht habe? „Es ist weniger Spaß, man wird getrieben und gequält von den Problemen“, sagte Selten einmal dieser Zeitung. Nun ist ein von der Forschung erfülltes Leben zu Ende gegangen. Wie diese Zeitung aus dem Umfeld der Familie erfuhr, ist Selten schon am 23. August im Alter von 85 Jahren in Posen verstorben.
Selten, der 1930 im schlesischen Breslau geboren wurde und als Halbjude im Dritten Reich unter Diskriminierung litt, hatte in den fünfziger Jahren in Frankfurt Mathematik studiert und sich früh auch für Psychologie und Wirtschaftswissenschaft interessiert. Die damals noch junge Spieltheorie eröffnete ihm eine völlig neue Welt, das systematische Nachdenken über strategische Interaktion. John Nash hatte mit seinem „Nash-Gleichgewicht“ einen ersten wichtigen Baustein zum Verständnis spieltheoretischer Probleme gesetzt. Im Kalten Krieg interessierten sich etwa die Militärs für die Theorie. Sie zeigte, dass die Atom-Mächte ein stabiles „Gleichgewicht des Schreckens“ erhalten könnten. Typische ökonomische Probleme lauten: Wie werden sich Anbieter in oligopolistischen Märkten verhalten? Beginnen sie einen Preiskrieg oder bilden sie ein Kartell?
Selten war nach John von Neumann, Oskar Morgenstern und Nash einer der Ersten, der solche Fragen mit mathematischen Modellen zu beantworten versuchte. 1965 entwickelte er das Konzept des „teilspielperfekten Gleichgewichts“. Spiele werden dabei von hinten aufgerollt und damit der Weg zum höchsten Gewinn ermittelt. 1978 erklärte Selten mit dem „Chain-Store-Paradox“, wie es eine ganze Kette von Geschäften schafft, sich Konkurrenz vom Leibe zu halten. 1994 erhielt Selten den Ökonomie-Nobelpreis zusammen mit den Amerikanern John Nash und John Harsanyi für seine Forschungsleistungen.
Entscheidend ist bei spieltheoretischen Problemen aber stets die Frage, wie rational die Akteure die Situation analysieren. Entgegen dem Mainstream vertrat Selten schon früh die Meinung, dass das Modellbild des hochrationalen „Homo Oeconomicus“ eine unrealistische Vorstellung sei. Der Homo Oeconomicus wägt mit kühlem Kopf unter allen möglichen Optionen ab, kann mit Wahrscheinlichkeiten rechnen und wählt jene Option, die ihm den höchsten Nutzen bringt. Angeregt durch die Thesen der „eingeschränkten Rationalität“ von Herbert Simon glaubte Selten, dass die Rationalitäts annahme den Menschen überfordere. Angesprochen auf die Nutzenfunktion, konnte er richtig ärgerlich werden: „So ein Quatsch, Sie haben doch keine Nutzenfunktion im Kopf, um dann auszurechnen, wie Sie Ihren Nutzen optimieren.“ Die Entscheidungsmechanismen seien ganz andere.
Um herauszufinden, wie sich Menschen in ökonomischen Entscheidungssituationen tatsächlich verhalten, machte Selten Experimente, zunächst mit seinem Frankfurter Lehrer Heinz Sauermann, dann in Bonn, wo Selten seit den achtziger Jahren lehrte. Mehr als 30000 Probanden haben inzwischen am BonnEconLab an wirtschaftswissenschaftlichen Versuchen teilgenommen, die von Selten inspiriert waren. „Die Unabhängigkeit und Tiefe seines Denkens war einzigartig“, sagte Axel Ockenfels, einer von Seltens Schülern, dieser Zeitung. „Die Wirtschaftswissenschaft hat Herrn Selten grandiose Antworten und wichtige Fragen in der Spieltheorie und Verhaltenswissenschaft zu verdanken, die die Forschung noch für Jahrzehnte beschäftigen werden.“
Zuweilen erlaubte sich Selten eine sprachliche Extratour auf Esperanto. Der Titel seiner Einführung zu spieltheoretisch-linguistischen Fragen heißt: "Enkonduko en la Teorion de Lingvaj Ludoj - Cu mi lernu Esperanton?" Für eine Esperanto-Partei kandidierte er erfolglos bei einer Europawahl. Mehr Erfolg hatte er damit, die Experimentalökonomie in Deutschland zu verbreiten. Inzwischen gibt es rund zwei Dutzend Labore, in denen Volkswirte Versuche machen.