Hans-Werner Sinn : Der Euro-Streiter
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Hans-Werner Sinn Bild: dpa
Kein Ökonom streitet so engagiert wie Hans-Werner Sinn. Der Euro treibt ihn immer noch um - und an die Spitze unserer Ökonomenrangliste.
„Deutschland ist nicht der Gewinner des Euro“ - „Warum es ein Fehler war, dass Draghi die Zinsen gesenkt hat“ - „Der deutsche Steuerzahler haftet“: Hans-Werner Sinn streitet weiter. Mag die Euro-Krise auch aus den alltäglichen Schlagzeilen verschwunden sein, Ifo-Präsident Sinn ist sich bewusst: Gelöst ist sie noch lange nicht. Und das sagt er auch in Interviews und in Gastbeiträgen, in Deutschland und in anderen Ländern - unentwegt. In der Euro-Krise hat Sinn sich zur internationalen Stimme der deutschen Ökonomen entwickelt, die gegen die Vergemeinschaftung von Staatsschulden und gegen überlockere Geldpolitik kämpfen.
Und er wird gehört. Ohne ihn wäre die Euro-Krise anders gelöst worden. Politiker und Regierungsbeamte sagen, sie hören auf seinen Rat. Und in den Medien findet Hans-Werner Sinn heute sogar noch mehr Gehör als während der Hochzeiten der Euro-Krise. Deshalb steht er an der Spitze unserer Einflussrangliste der Wirtschaftsforscher.
Natürlich war Sinn vorher schon kein Unbekannter. Schon 1991 hatte er zusammen mit seiner Frau Gerlinde unter dem Titel „Kaltstart“ ein Buch veröffentlicht, in dem er eine schnelle Erholung der ostdeutschen Bundesländer anzweifelte - zu schnell seien die Ost-Löhne auf Westniveau gehoben worden, zu langsam seien die Eigentumsrechte in der DDR geklärt worden, zu viele Fehler seien bei der Privatisierung geschehen. Selbst spätere Gegner Sinns erkannten dieses Buch als wichtiges Werk an.
Als Sinn 1999 die Leitung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München übernahm, wurde er den Deutschen noch präsenter. Schon allein an seinem markanten Bart erkannten ihn viele Deutsche im Fernsehen, wenn er mit den Chefs der anderen Wirtschaftsforschungsinstitute den Bundesregierungen die Gutachten übergab, oder wenn er auf der festen Grundlage des Ifo-Geschäftsklimaindex über die Aussichten für die Konjunktur sprach.
„Angetreten, die Welt zu verbessern“
Doch in der Euro-Krise zeigte sich Sinns Wille zum intellektuellen Streit erst richtig. „Ich bin als politischer Ökonom angetreten, die Welt zu verbessern“, sagt er. Und wie er diesen Willen in die Tat umsetzt, das zeigte er in der Euro-Krise an zwei Zauberwörtern, die vorher kaum jemand gehört hatte: „Target 2“. Dahinter verbirgt sich ein sehr technisches System zum Ausgleich von Zahlungsströmen im Euroraum. Selbst Notenbank-Experten hatten sich damit vorher nur gelegentlich beschäftigt. Doch Sinn hatte vom ehemaligen Bundesbank-Präsidenten Helmut Schlesinger einen Hinweis auf diese Salden bekommen. Er vergrub sich in die Details dieses Zahlungssystems und fand darin ein hohes Zahlungsrisiko für Deutschland.
Sinn machte seine Thesen publik. Die Bundesbank widersprach, doch das schien Sinn nur immer neue Energie zu bringen. Zeitungsbeitrag um Zeitungsbeitrag schrieb Sinn und brachte den Deutschen nahe, dass sie sich für dieses Target 2 interessieren mussten. Er besuchte Talkshow um Talkshow, um den Deutschen die Gefahren zu erklären, die er entdeckt hatte - dabei war es schon eine Leistung gewesen, so ein sperriges Ding wie Target 2 überhaupt so weit verständlich zu machen, dass es für Fernseh-Talkshows taugt.
Dazu muss man die komplizierten Zusammenhänge zuspitzen und pointiert darstellen. Mag er bei vielen Universitätsökonomen in Deutschland und in anderen Ländern leidenschaftlich angesehen sein, andere lehnen seine Thesen ebenso leidenschaftlich ab. Im Streit um die Finanzierung maroder Banken in der Euro-Krise fanden sich erst mehr als 200 Ökonomen, die einen Aufruf an Politiker unterschrieben - den hatte zwar nicht Sinn initiiert, aber der Aufruf war aus Sinns Thesen geronnen. Dann aber fanden sich auch 160 Wirtschaftsforscher für einen Gegenaufruf. Und noch mal 200 für einen Kompromissentwurf.
So kann Sinn polarisieren. Auch wenn er mit solchen Beiträgen nicht oft in den Standardzeitschriften der Wirtschaftler auftaucht - das sieht der 66-jährige Sinn nicht mehr als seine Hauptaufgabe. Die älteren Ökonomen müssten sich um die Politik kümmern, findet er. Auch das sei Forschung, aber eben andere. „In der Jugend forscht man theoretisch-mathematisch, im Lauf der Zeit kommt man dann mehr an die politischen Themen heran“, sagt er. „Politische Fragen sind komplizierter. Es gibt da so viele institutionelle Fragen, dazu brauchen Sie eine breite Erfahrung.“ Und die in die öffentliche Diskussion einzubringen, sieht Sinn als seine Pflicht. Ökonomen würden nicht nur für selbstreferenzielle Forschung bezahlt. „Der Betriebswirt dient dem Betrieb“, sagt er, „der Volkswirt dient dem Volk.“