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Finanzkrise : Marx hat recht

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Krisen gehören einfach dazu Bild: Reuters

Die Geschichte des Kapitalismus ist die Geschichte seiner Krisen. Da hat Karl Marx vollkommen recht. Er hat nur die falschen Schlüsse daraus gezogen: Denn die Krisenanfälligkeit der Märkte ist kein Systemfehler, sondern der Kern des Systems.

          3 Min.

          Schon einmal etwas von Hyman Minsky gehört? Der Mann war Ökonom, hat von 1919 bis 1996 gelebt, und kommt derzeit mächtig in Mode. Denn er hat die Gesetzmäßigkeiten von Spekulationsblasen idealtypisch beschrieben: Erst wagen die Menschen gar nichts und scheuen jedes Risiko. Dann entdeckt plötzlich einer irgendwo ein Geschäft und ein anderer, der daran mitverdienen will, ist bereit, ihm Geld zu leihen. Plötzlich machen alle mit, weil sie ziemlich dumm da stünden, wenn ihre Umwelt den großen Reibach ohne sie machen würde. Weil die Zinsen niedrig sind, ist Geld billig zu haben. Und weil die wirtschaftlichen Aussichten stabil sind, taucht Kassandra ab. „Lebe riskant, und verdiene viel Geld“, heißt die Devise. Der Spekulant ist ein höchst emotionsgeladenes Wesen mit animalischen Instinkten.

          Dann kommt der Minsky-Punkt. Irgendein Mitspieler bekommt es mit der Angst und verweigert die Zahlung. Einer ist noch nicht schlimm, der zweite vielleicht schon; denn sein Verhalten steckt an: Die Blase platzt. Und die Neigung, Risiken einzugehen, nimmt rapide ab. Plötzlich kann niemand mehr verstehen, wie alle noch vor wenigen Jahren berauscht waren: Die Helden von gestern sind die Dummen von heute.

          Das konnte nicht gutgehen, sagen die Neunmalklugen

          Als ob es nur gierige Investmentbanker gewesen wären, die uns die ganze Krise eingebrockt hätten. Wer sich die Mühe macht, noch einmal den Geschichten vom amerikanischen Häuserboom zu lauschen, merkt schnell: Dahinter steckte ein gigantisches sozialpolitisches Programm. „Jedem Bürger sein Haus“, propagierte Alan Greenspan. Die Banken haben kräftig verdient; der Staat hat das Ganze großzügig gefördert - mit billigem Geld und impliziten Bürgschaften (sie hießen Fannie und Freddie). Das waren Zeiten, als Kalifornien sich brüstete, dort sei ein Haus im Schmitt achtmal so viel wert wie das durchschnittliche Haushaltseinkommen seiner Besitzer, während die armen Mitbürger in Nebraska es nur auf einen 2,6-fachen Hebel brachten.

          Das konnte nicht gutgehen, sagen die Neunmalklugen heute. Vor drei Jahren riefen dieselben: Es ist noch immer gutgegangen. Und die Abgebrühten würden sagen: Eine Finanzkrise nimmt ihren ganz normalen Lauf. „Manie, Panik und Crash“ hat der große Ökonom Charles Kindleberger im Jahr 1978 sein berühmtes Werk über die Geschichte der Finanzkrisen überschrieben. Nicht weniger als 29 Fälle eines Crashs hat er zwischen 1720 und 1975 gezählt. Seither sind bekanntlich noch ein paar weitere Vorfälle dazu gekommen.

          Wo es aufwärts geht, geht es auch abwärts

          Die Geschichte des Kapitalismus ist die Geschichte seiner Krisen. Da hat Karl Marx vollkommen recht. Er hat nur die falschen Schlüsse aus dieser Einsicht gezogen: Denn die Krisenanfälligkeit der Märkte ist kein Systemfehler, sondern ein Kern des Systems. Die wirtschaftliche Evolution ist kein Streichelzoo; der Fortschritt hat etwas Sprunghaftes. „Ertappt“, rufen seit einer Woche die Kapitalismuskritiker aus allen Lagern. Fast hört es sich an, als wären sie erleichtert über den Zusammenbruch. Ihr alter Glaube kann sich wieder sehen lassen; die Finanzmärkte sind eben des Teufels.

          Mag sein, dass verzärtelte Apologeten des Kapitalismus aufgetreten waren, die den Preis des Evolutionsgeschehens freier Märkte verschwiegen haben. Wo es aufwärtsgeht, geht es auch abwärts. Und wo es Sieger gibt, gibt es auch Verlierer. Wie sich das Verhältnis von individueller Leistung und Schicksal verteilt, weiß man immer erst hinterher. Nicht in jedem Einzelfall wird das Risiko belohnt.

          In der Summe zahlt sich das Risiko aus

          Eines aber ist sicher: In der Summe zahlt sich das Risiko aus. Die Formel dafür ist verrückt: Je freier und deregulierter das Finanzkapital sich bewegen kann, um so häufiger ist die Wahrscheinlichkeit von Krisen. Das haben die Verächter des Marktes richtig beobachtet. Was sie freilich ignorieren: Der Lohn des Risikos heißt Wachstum. Je offener die Finanzmärkte, desto mehr wächst der Wohlstand. Selbst Schwellenländer wie Thailand, das von Finanzkrisen besonders gebeutelt wurde, wären heute schlechter dran, hätten sie - wie Indien über lange Zeit - diese Krisen vermieden und sich protektionistisch eingeigelt. Darüber sollten sich all jene im Klaren sein, die jetzt besonders laut im Chor der Finanzmarktregulierer singen.

          Eine Wirtschaftsordnung, welche die Finanzmärkte eng an die Kandare nimmt, ist nicht nur denkbar, sondern auch Geschichte. Die Amerikaner haben als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise das Kapital streng kontrolliert mit der Folge, dass das Wachstumspotential deutlich schrumpfte. Der Sozialismus war noch konsequenter: Spekulationskrisen gab es in der DDR keine; Wohlstand indessen auch nicht. Gewiss kann jetzt nicht weitergewurstelt werden wie bisher. Wenn freilich nichts als Regulierung, Staatskontrolle und Beschränkungen des Börsenhandels dabei herauskommt, wird der Schaden langfristig womöglich noch größer werden.

          Rainer Hank
          Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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