Arm und reich : Das Paarungsverhalten der Besserverdiener
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Selbstgewählte Verhaltensänderung: Keine Grund zur moralischen Beanstandung Bild: ddp
Die Frauen sind mal wieder schuld. Jetzt sollen sie sogar verantwortlich sein für die wachsende Ungleichheit der Einkommen in den Industrieländern. Das ist die ganz und gar seriöse Behauptung einer neuen und ziemlich spektakulären Studie der OECD.
Die Frauen sind mal wieder schuld. Jetzt sollen sie sogar verantwortlich sein für die wachsende Ungleichheit der Einkommen in den Industrieländern. Das ist die ganz und gar seriöse Behauptung einer neuen und ziemlich spektakulären Studie der OECD.
Die Begründung geht folgendermaßen: Immer mehr Frauen, die mit männlichen Spitzenverdienern zusammenleben, haben ein eigenes Berufseinkommen. Das Modell „Manager sucht Hausfrau“ scheint ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Gutverdiener sind besonders häufig auch Doppelverdiener.
„Assortative Pairing“ heißt der Trend
Mehr noch: Man paart sich innerhalb der gleichen Schicht oder Klasse der Besserverdiener. „Assortative Pairing“ nennen die Angelsachsen diesen Trend, wonach nicht mehr „Arzt sucht Krankenschwester“ gilt, sondern „Ärztin sucht Arzt“. Kein Wunder, dass die Einkommen im oberen Zehntel der Haushalte deutlich kräftiger zunehmen als im unteren Zehntel. Gleich und Gleich gesellt sich gern – und das macht die Welt insgesamt nur noch ungleicher.
Umgekehrt schlägt die wachsende Versingelung der Gesellschaft auf die zunehmend ungleichen Verhältnisse durch. Im Jahr 1980 betrug der Single-Anteil (mit oder ohne Kinder) aller Haushalte fünfzehn Prozent. Inzwischen liegt er bei zwanzig Prozent, weil die Menschen sich offenbar immer seltener paaren wollen, aber um so häufiger scheiden lassen. Single-Haushalte (erst recht Alleinerzieher), so viel ist trivial, sind ärmer als Doppelverdiener.
So also öffnet sich die berühmte Schere. Während in den vergangenen dreißig Jahren der Reichtum in der oberen Oberschicht jährlich um zwei Prozent zunahm, brachten es die (relativ) Ärmsten nur auf jährlich 1,7 Prozent. Heute sind die reichen Reichsten im Schnitt zehnmal so reich wie die ärmsten Armen. In Deutschland geht es nach wie vor noch etwas egalitärer zu; dafür ist die Kluft in Israel, den Vereinigten Staaten oder der Türkei deutlich größer.
Die sich öffnende Kluft beruht auf selbstgewählten Verhaltensänderungen
Alles kommt jetzt darauf an, welchen Anteil an der wachsenden Ungleichheit man dem neuen Paarungs- und Versingelungsverhalten zuschreibt. Manche Wissenschaftler wollen darin den Hauptgrund sehen. Hätten sie recht, gäbe es keinen Grund zu irgendwelchen moralischen Beanstandungen oder politischen Umverteilungsforderungen. Denn die sich öffnende Ungleichheitskluft beruht ganz auf selbstgewählten Verhaltensänderungen. Die Menschen sind frei zu entscheiden, wie sie leben wollen. Hat das Auswirkungen auf ihr Einkommen, braucht das niemanden zu kümmern, weder Staat noch Gesellschaft.
Doch auch wenn die sonstigen, weniger der subjektiven Wahl unterliegenden Verdächtigen ins Spiel kommen (von der Globalisierung über den technischen Fortschritt bis zur schwindenden Gewerkschaftsmacht), gibt es noch lange keinen Handlungsdruck für die Freunde der Umverteilung. Denn die OECD-Studie weist mit Recht darauf hin, dass größere Ungleichheit offenbar der Preis ist für höhere Beschäftigung. Aufstiegs- und Einkommenschancen (ganz abgesehen vom persönlichen Glück) nehmen aber zu, wenn Menschen Arbeit haben. Und, nicht zu übersehen, absolut wächst der Lebensstandard aller, auch wenn relativ die Reicheren reicher werden als die Armen. Weder ökonomisch noch ethisch gibt es also etwas zu meckern.
Wo also liegt das Problem? Leider in der Psychologie. Denn relativ wachsende Einkommensunterschiede machen die Menschen unglücklicher, auch wenn absolut der Reichtum aller zunimmt. Aber sollen wir wegen der Psychologie auf Wohlstand verzichten?