Richard Musgrave : Des Guten zu wenig
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Richard A. Musgrave (1910-2007) Bild: Getty Images
Von alleine würden die Leute nicht in die Schule gehen, müssten sie die Kosten tragen. Deshalb muss der Staat ran, meinte Richard Musgrave.
Die Ökonomen sollen den Menschen bei der Befriedigung ihrer Wünsche helfen - was aber, wenn die Menschen nicht immer so richtig wissen, was sie sich wünschen? Das klingt merkwürdig: Wer, wenn nicht wir selbst sollte wissen, was wir uns wünschen? Mittlerweile gibt es viele Studien der modernen Verhaltensökonomik, die genau dies zu belegen glauben: Menschen täuschen sich bisweilen selbst darüber, was sie wollen und was gut für sie ist.
Lange bevor Verhaltensökonomen wie Daniel Kahneman oder der zum Pop-Psychologen avancierte Dan Ariely mit Studien aufwarteten, welche die Mängel des menschlichen Wünschens zeigen, hat der in Königstein im Taunus geborene Harvard-Ökonom Richard Abel Musgrave diese Idee von den fehlerhaften Wünschen der Menschen zum Bestandteil staatlicher Politik gekürt und den Begriff der Meritorik geprägt. Wenn wir die wahren Vorteile eines Gutes nicht erkennen, werden wir zu wenig davon konsumieren - diese Art von Gütern bezeichnete Musgrave als meritorische Güter. Es sind also Güter, von denen wir zu wenig konsumieren, wenn sie alleine über den Markt bereitgestellt und gekauft werden. Das wäre ein Fall von Marktversagen, Zeit für den Staat einzugreifen.
Als klassisches Beispiel für meritorische Güter gilt Bildung: Wer von uns ist schon stets mit Begeisterung zur Schule gegangen? Doch die meisten von uns waren später froh darüber, dass sie es getan haben. Wir haben den Nutzen der Ausbildung im Moment des Konsums unterschätzt. Wenn wir also verkennen, wie sehr wir von einem Produkt profitieren werden, dann sollte der Staat uns auf die Beine helfen und den Konsum solcher meritorischen Güter fördern, beispielsweise über Subventionen. Spiegelbildlich definiert Musgrave demeritorische Güter, das sind jene Güter, von denen wir zu viel konsumieren, weil wir nicht sehen, wie schlecht dieser Konsum für uns ist. Paradebeispiele für demeritorische Güter sind Alkohol oder Tabak. Will man verhindern, dass Menschen sich durch den Genuss dieser Güter schaden, so muss man sie besteuern.
Allzweckrechtfertigung für Irrsinn
Die jüngsten Forschungen der Verhaltensökonomen haben die Idee eines staatlichen Eingriffes, um die Vorlieben seiner Bürger in deren eigenem Interesse zu korrigieren, neu aufgegriffen und erweitert, indem sie die Palette der Politikmaßnahmen um psychologisch motivierte Ideen und Tricks bereichern. Mittlerweile plädieren einige Verhaltensökonomen sogar für sogenannte Sündensteuern - Steuern auf gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen und Trinken. Damit sind die modernen Verhaltensökonomen intellektuelle Erben des 2007 verstorbenen Musgrave. Die Idee der Meritorik ist mit dem Eindringen der Psychologie in die ökonomische Disziplin zu neuer Blüte gereift.
So harmlos das klingt, so gefährlich ist es. Denn der Begriff der Meritorik wird zur Universalwaffe, mit dessen Hilfe man alles rechtfertigen kann: subventionierte Opernkarten (der Kultur wegen), öffentlich-rechtlicher Rundfunk (des Erziehungsauftrages wegen), Tabaksteuern (der Gesundheit wegen), Glücksspielstaatsverträge (um die Spielbedürfnisse in legale Bahnen zu lenken) oder Sparförderung (um die Kurzsichtigkeit der Menschen zu bekämpfen) - fast keine Politik, die sich nicht damit rechtfertigen ließe, dass die Menschen nicht wissen, was gut für sie ist.
Genau hier liegt auch das Problem dieser Idee: Wenn man mit Hilfe der Meritorik alles begründen kann, dann werden Politiker das auch tun - Musgraves Idee mutiert zur Allzweckrechtfertigung für jeglichen politischen Irrsinn, der persönliche Vorlieben, Werturteile oder Wahlgeschenke in Gesetzesform gießt. Alles lässt sich trefflich hinter der Begründung verbergen, dass man ja zum Wohle der Bürger gegen deren eigene Vorlieben verstoße. Und wann immer sich der Bürger über höhere Steuern, Einschränkungen seiner Freiheit oder staatliche Mittelverschleuderung aufregt, muss er sich sagen lassen, dass dies ja alles zu seinem Wohl geschehe - auch wenn er es selbst nicht so sehe. Pessimistisch betrachtet, sind das harmlos klingende Wort Meritorik und die Ergebnisse der Verhaltensökonomen nur eine Verkleidung für eine Moral- und Geschmacksdiktatur - Helfer auf dem Weg in die Knechtschaft.
Freiheit ist auch ein wichtiges Gut
Wenn man also etwas von Musgraves Idee der meritorischen Güter lernen kann, dann Anständigkeit im politischen Betrieb: Es spricht nichts dagegen, dass Politiker Tabak besteuern oder Kultur subventionieren wollen - wenn die Mehrheit der Wähler hinter dieser Idee steht, dann nennt man das Demokratie. Wenig demokratiefreundlich allerdings ist es, wenn Politiker ihren eigenen Werturteilen ein (pseudo-?)wissenschaftliches Mäntelchen umhängen, ihre eigenen Wertvorstellungen und Wünsche als wissenschaftlich abgesicherte Wahrheiten ausgeben und unter diesem Deckmantel ihr eigenes Süppchen kochen. Das nennt man Manipulation.
Musgrave selbst hat die Gefahr, die von seinem Konzept ausgeht, durchaus gesehen - kaum eine Schrift über meritorische Güter, in der er nicht davor warnte, dass der leichtfertige Gebrauch dieses Begriffes unbeabsichtigte paternalistische Eingriffe des Staates zur Folge haben könnte. Vielleicht ist die Freiheit des Einzelnen auch ein meritorisches Gut, das es zu schützen gilt.