Elinor Ostrom : Rettet die Fische!
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Elinor Ostrom (1933–2012) Bild: Picture Press, Bearbeitung F.A.S.
Wenn alle unbegrenzt im Meer fischen, gibt es bald keine Fische mehr. Elinor Ostrom – die erste Frau, die den Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt – weiß, wie man das verhindern kann.
„Der Fisch gehört nicht den Fischern“, sagt Maria Damanaki, die EU-Fischereikommissarin und hat aus dieser Einsicht Konsequenzen gezogen: Zukünftig werden die Fangquoten für die europäischen Fischer weniger von der Politik, sondern von Meeresbiologen festgelegt, um eine Überfischung zu verhindern – Freunde hat sie sich unter den europäischen Fischern damit nicht gemacht.
Was das Vorhaben der EU, die Überfischung der Meere zu verhindern, so schwierig macht, ist der Umstand, dass die Kontrolle dieser Fischereigründe ebenso wie der Ausschluss einzelner Fischer nahezu unmöglich sind, doch jeder zusätzliche Fischer schmälert den Fang der anderen Fischer und trägt zur Überfischung bei. Dieses Problem hat einen Namen: Fischereigründe sind – ähnlich wie Weiden oder Waldstücke – oft eine besondere Spielart von Gütern, sogenannte Allmende-Güter, die sich durch zwei Eigenschaften auszeichnen: Erstens kann man niemanden von dessen Nutzung ausschließen, und zweitens beeinträchtigt die Nutzung dieser Allmende durch einen Nutzer den Nutzen aller anderen. Jeder Fang, den ein Fischer macht, ist ein Fang, den sein Konkurrent nicht mehr machen kann.
Für Ökonomen enden solche Güter in einer Tragödie: Wenn man weiß, dass man umso weniger Fische fängt, je mehr Fische der Nachbar fängt, wird man versuchen, möglichst viel Fische zu fangen, bevor es die anderen tun.
Leider denken die anderen genauso, die Folge: überfischte Gewässer und abgegraste Weiden. Fast 50 Prozent der Arten im Atlantik seien überfischt, sagt Frau Damanaki – ein typisches Allmende-Problem. Wenn alle Fischer sich darauf verständigen könnten, weniger zu fischen, würde es allen besser gehen. Dieses Dilemma wird als „Die Tragödie der Allmende“ bezeichnet, und Ökonomen sehen nur zwei Lösungen: Verstaatlichung oder Privatisierung. Wenn der Staat den Fischern Fangquoten vorschreibt oder der Fischgrund jemandem gehört, kann man in beiden Fällen die Überfischung des Fanggrundes verhindern – durch Gesetze und Verbote.
Der Staat sollte sich besser heraushalten
In der klassischen Ökonomie war damit der Fall klar: Verstaatlichung oder Privatisierung – nur so lässt sich dieses Dilemma lösen. Doch Elinor Ostrom, die erste weibliche Trägerin des Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, untersuchte reale Allmende-Tragödien in den Hochgebirgsweiden und -wäldern im Alpenraum, in türkischen Fischgründen, bei Bewässerungsprojekten auf Sri Lanka oder bei Grundwasserbecken in Kalifornien – und fand heraus, dass die betroffenen Bauern, Anwohner oder Fischer das Allmende-Problem lösten, ohne Staat oder Privatbesitz. Die jeweiligen Nutzer der Allmende setzten sich zusammen und fanden Wege und Regelungen, miteinander zu kooperieren, und konnten die Tragödie verhindern. Ostroms Forschungsprogramm zeigte auf, wann und unter welchen Umständen dieser dritte Weg beschritten werden kann und komplexe Systeme sich selbst organisieren.
Einige der Voraussetzungen für eine solche lokale Kooperation sind wenig überraschend: Es braucht klare Regeln, wer welche Rechte hat, ebenso wie klare Konfliktlösungsmechanismen, ein angemessenes Verhältnis von Rechten und Pflichten sowie eine Überwachung durch die Betroffenen oder durch Personen, die den Betroffenen Rechenschaft schuldig sind.
Weiterhin zeigt sich, dass Sanktionen am wirkungsvollsten sind, wenn man sie abstuft – beim ersten Verstoß gibt es eine milde Strafe, weitere Verstöße werden zunehmend härter geahndet. Neu war die Erkenntnis Ostroms, dass der Staat sich am besten heraushält – versucht er, die oft in Jahren organisch gewachsenen Strukturen durch Gesetzgebung zu beeinflussen, kann der Schuss rasch nach hinten losgehen. Weiter zeigte Ostrom, dass eine solche Selbstorganisation sich schrittweise von unten nach oben ausweiten kann. Hat sich eine kleine Gruppe organisiert, so kann diese sich mit anderen Gruppen auf einer nächsthöheren Ebene der Kooperation zusammenschließen.
Fangsaison statt Fangquoten
Dieser letzte Punkt ist wichtig, wenn man von der Tragödie der Allmende lernen will: Ist eine Selbstorganisation sozialer Systeme auch auf höherer Ebene, mit sehr vielen Betroffenen, möglich? Beispielsweise bei den Fischgründen der Europäischen Union?
Ostroms Feldstudien zeigten, dass die Regeln der Kooperation auch in Fällen funktionierten, in denen Tausende von Menschen involviert waren. Produkte wie Open-Source-Software oder Wikipedia belegen diese Idee – vorausgesetzt, man beachtet die Prinzipien der erfolgreichen Kooperation, die Ostrom aufgedeckt hat.
Allerdings ist fraglich, ob eine solche Kooperation auch bei globalen Allmende-Gütern wie Ozeanen oder der Ozonschicht möglich ist. Doch selbst in diesen Fällen helfen Ostroms Forschungen weiter, sie zeigen, inwieweit diese Prinzipien auch bei privater Nutzung oder staatlichem Eigentum hilfreich sein können. So würde sie vermutlich der Europäischen Union empfehlen, statt auf Fangquoten auf kalendarische Beschränkungen – also eine Fangsaison – zu setzen, diese Regeln haben sich als effektiver erwiesen.
„Es sind die gewöhnlichen Menschen und Bürger, welche die Institutionen des täglichen Lebens gestalten und aufrechterhalten“, schreibt Ostrom. Auch das mag eine Lehre für den Staat sein: Bisweilen kann der Bürger auch ohne ihn.