Sachverständigenrat : Wirtschaftsweise können sich nicht einigen, wer ihr Chef sein soll
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Zwölfte Etage des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden, wo der Sachverständigenrat vor der Pandemie regelmäßig tagte. Bild: Frank Röth
Nun soll es eine „rotierende Regelung“ geben – vermutlich bis nach der Bundestagswahl.
Auch fast drei Monate nach dem Ausscheiden von Lars Feld aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) haben sich die vier verbliebenen Ratsmitglieder nicht auf eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden einigen können.
Wie der Rat am Dienstag mitteilte, haben sich die „Wirtschaftsweisen“ Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Volker Wieland und Achim Truger nun darauf verständigt, „dass der Rat bis auf weiteres von ihnen gemeinsam geleitet wird“. Mit einer „rotierenden Vertretungsregelung“ sei dafür gesorgt, „dass der Rat in dieser Zeit weiterhin auch administrativ voll handlungsfähig bleibt“.
Wer nun zuerst vertretungsweise zum Beispiel die Sitzungen des Gremiums leiten oder Arbeitsverträge von Mitarbeitern des Rates unterschreiben wird, blieb in der kurzen Mitteilung offen. Offenbar soll es eine monatliche Rotation in alphabetischer Reihenfolge geben. Das bedeutet, dass die Energie- und Verhaltensökonomin Veronika Grimm (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) die Aufgabe zuerst übernehmen wird.
Verfahrene Situation
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates wird anders als die Mitglieder nicht von der Bundesregierung ernannt, sondern von den Ratsmitgliedern aus ihrer Mitte gewählt. Eine Pattsituation verhinderte nun dem Vernehmen nach, dass dies gelang. Der von den Gewerkschaften für den Rat nominierte Achim Truger soll die Münchener Volkswirtin Monika Schnitzer unterstützt haben. Auf der anderen Seite hatte der einst von den Arbeitgebern für den Rat vorgeschlagene Volker Wieland (Goethe-Universität Frankfurt) die Rückendeckung von Veronika Grimm.
An dieser verfahrenen Situation änderte sich auch dann nichts, als Wieland und Grimm die Rollen tauschten und Grimm selbst den Vorsitz übernehmen wollte. Der Machtkampf in dem Beratungsgremium der Bundesregierung endet nun vorerst mit einem Kompromiss, der erst überwunden werden dürfte, wenn die Bundesregierung ein fünftes Mitglied als Nachfolger für Lars Feld, den letzten Vorsitzenden des Rates, benennt.
Feld war Ende Februar nach zehn Jahren im Rat ausgeschieden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hätte den Ordoliberalen gerne im Rat gehalten, obwohl das nach Ablauf von zwei fünfjährigen Amtszeiten unüblich ist. Einer weitere Amtszeit des Freiburger Forschers stand allerdings die SPD entgegen, die gerne einen ihren wirtschaftspolitischen Positionen nahestehenden Volkswirt wie Marcel Fratzscher in das Gremium berufen hätte – was wiederum das Wirtschaftsministerium blockierte.
Praktische Folgen
Schließlich musste Feld gehen, was Altmaier als „bedauerlichen Verlust“ bezeichnete. Feld selbst hätte in der schwierigen Zeit der Pandemie gerne im Rat weitergemacht und kommentierte sein Ausscheiden in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung damit, dass er für viele in der SPD „ein rotes Tuch“ sei, „so sehr, wie die Partei nach links gerückt ist“.
Dass der fünfte Platz im Rat noch vor der Bundestagswahl im September nachbesetzt wird, gilt derzeit als unwahrscheinlich. Verschiedene Namen kursierten zuletzt, doch wie aus Regierungskreisen verlautet, liegen die Vorstellungen von Union und SPD nach wie vor weit voneinander entfernt. Und anders als bei der Wahl ihres Vorsitzenden haben die Ratsmitglieder selbst keinen Einfluss auf die Besetzung.
Praktische Folgen hat der politische Zank um das wichtigste wirtschaftspolitische Gremium im Land schon jetzt. Die Vorbereitungen für das stets in der ersten Novemberhälfte veröffentlichte, mehrere hundert Seiten umfassende Jahresgutachten haben begonnen, die Themensetzung ist angelaufen.
Und mit dem Ausscheiden des wirtschaftsliberalen Ökonomen Feld ist der gewerkschaftsnahe Truger der einzig verbliebene Finanzwissenschaftler im Rat. Passagen zur Steuer- und Sozialpolitik dürften im anstehenden Jahresgutachten demnach eine deutlich mehr keynesianische Handschrift tragen als zuletzt.