Wirtschaftstheorie : Chinesen sind paradox
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Sind Nudeln in China Giffen-Güter? Bild: REUTERS
Wenn die Preise für ein Gut nach oben gehen, kaufen die Menschen üblicherweise weniger davon. Die Chinesen tun manchmal genau das Gegenteil. Und helfen damit zwei amerikanischen Ökonomen, eine uralte Wirtschaftstheorie zu beweisen.
Der Name Robert Giffen sagt vermutlich nur jenen etwas, die in einer Vorlesung zur Einführung in die Mikroökonomie gesessen haben. Dort zählt die Lehre vom „Giffen-Gut“, benannt nach dem schottischen Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert, seit langer Zeit zum Standardprogramm. Giffen stellte als Erster die These auf, dass die Nachfrage nach einem Gut nicht zwingend fallen müsse, wenn sein Preis steige. Die Nachfrage könne sogar steigen nach Preiserhöhungen. Und umgekehrt könne die Nachfrage mit einem sinkenden Preis fallen.
Ein solches Phänomen widerspricht der Intuition und steht im Gegensatz zum ökonomischen „Gesetz der Nachfrage“: Danach kaufen Konsumenten weniger von einem Gut, je höher sein Preis klettert. Erst auf den zweiten Blick ist Giffens These plausibel. Ein gängiges Lehrbuchbeispiel lautet folgendermaßen: Jemand hat 3 Euro am Tag zur Verfügung. Er kauft jeden Tag 1 Laib Brot für 1 Euro und 1 Stück Fleisch für 2 Euro. Jetzt steigt der Brotpreis auf 1,50 Euro. Da er nach einem Laib Brot nicht mehr genug Geld für Fleisch übrig hat, kauft er stattdessen einen weiteren Laib Brot.
Von der Empirie im Stich gelassen
So weit die theoretischen Überlegungen Giffens. Zum Bedauern mancher Ökonomen hat die Empirie sie bei der Bestätigung lange im Stich gelassen. Es haben sich trotz großer Bemühungen lange Zeit keine Fälle finden lassen, die eine Einordnung eines Produkts oder einer Dienstleistung als „Giffen-Gut“ ermöglicht hätte. Selbst die Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts, die lange als Beispiel genannt wurde, hat letztlich einer Überprüfung nicht standgehalten: Der Preis für Kartoffeln kletterte während dieser Zeit zwar in die Höhe; Ursache dafür waren aber Schäden an den Pflanzen, die zu einer Angebotsknappheit führten. Der Konsum kann darum - zumindest in der Gesamtheit - gar nicht gestiegen sein.
Doch nun, fast 200 Jahre nach Giffens Idee, haben zwei Ökonomen von der Harvard-Universität zum ersten Mal Beweise geliefert. Robert Jensen und Nolan Miller sind zu diesem Zweck um die halbe Welt gereist und haben in zwei chinesischen Provinzen ein ökonomisches Experiment durchgeführt, das zwar kein Giffen-Gut hervorgebracht hat, wohl aber unter bestimmten Bedingungen zu einem „Giffen-Verhalten“ von Bewohnern in Hunan im Süden und in Gansu im Norden geführt hat. Diese beiden Regionen eigneten sich für den Versuch deshalb so gut, weil die Menschen dort vielfach sehr arm sind, sich zum allergrößten Teil von Reis (Hunan) beziehungsweise Weizen (Gansu) und ein wenig Fleisch und Gemüse ernähren.
Mehr Brot und weniger Fleisch
Weshalb unter diesen Umständen mit einem Giffen-Verhalten zu rechnen ist, erläutern die Wissenschaftler ebenfalls anhand eines Beispiels: Ein armer Konsument bewegt sich in seiner Ernährung am Rande dessen, was zum Überleben notwendig ist. Er hat nur zwei Lebensmittel, Brot und Fleisch. Brot liefert verhältnismäßig viele Kalorien zum niedrigen Preis, Fleisch hingegen schmeckt ihm besser, liefert aber weniger Kalorien je Geldeinheit. Darum isst der Verbraucher verhältnismäßig viel Brot zur Deckung des Kalorienbedarfs und kauft vom übrigen Geld Fleisch. Wenn nun der Brotpreis steigt, kann er sich seine ursprüngliche Kombination von Brot und Fleisch nicht mehr leisten. Wenn er aber den Fleischkonsum erhöht, bekommt er nicht mehr genug Kalorien. Darum muss er mehr Brot essen und den Fleischgenuss einschränken, obwohl der Brotpreis gestiegen ist.