Völkerwanderung : Das Erfolgsmodell des Nordens als Sehnsuchtsziel
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Warten auf den Zug nach Norden: Flüchtlinge und Migranten in Serbien Bild: AFP
Das bisherige Tempo der Angleichung zwischen Nord und Süd reicht nicht aus, wenn man die Völkerwanderung in einem Rahmen halten will, der das Erreichte im Norden nicht gefährdet. Was ist zu tun? Ein Gastbeitrag.
Völkerwanderungen haben ein einfaches Muster: Die Menschen fliehen aus der Heimat, wo Not, Krieg und Übervölkerung herrschen, und streben dorthin, wo Brot, Sicherheit und Unterkommen die Regel sind. Der gegenwärtige Menschenstrom in die Mitte Europas ist hier keine Ausnahme.
Die herkömmliche ökonomische Theorie des internationalen Austauschs konzentriert sich auf den Warenhandel. Als Konstanten werden die Faktorausstattungen der einzelnen Länder genommen: eine gegebene Ausstattung mit Arbeitskräften und Boden. Abgeleitet werden die internationalen Ströme der produzierten Güter. Diese Theorie passt zu einer Welt, in der die Kosten des Warentransports gering und die Wanderungskosten der Menschen hoch sind.
Zu den Wanderungskosten im weiteren Sinn gehören neben den unmittelbaren Reisekosten die Kosten des Informationserwerbs. Ferner gibt es möglicherweise hohe Kosten der Aufgabe der heimischen Existenz; und schließlich entstehen die Kosten des Zugangs zum ersehnten Land. Letztere zerfallen wiederum in die unvermeidlichen Kosten der Anpassung an eine fremde Kultur (Beispiel: Spracherwerb) und in die Überwindungskosten des Widerstands der heimischen Bevölkerung gegen die Zuwanderung.
Wo Chaos droht, lebt der Dschihad
Die Wanderungskosten befinden sich in einem säkularen Sinkflug. Daher ist mit weiter steigenden Wanderungen aus dem „Süden“ in den reichen „Norden“ zu rechnen. Die Verkehrsinfrastruktur verbessert sich allenthalben, gerade auch im Süden. Verkehrsprojekte sind die Lieblinge nördlicher Entwicklungshilfe. Fernsehen, Mobiltelefon und Internet überziehen heute alle Länder der Welt; sie dezimieren die Kosten des Informationserwerbs. Die Branche der legalen und kriminellen Reisehelfer ist zunehmend professionalisiert. Wo Chaos droht, lebt der Dschihad (Taliban, Al Qaida, IS) auf. Er zerstört die Heimat vieler Menschen. Für sie sind die Kosten der Aufgabe der Heimat schon bei null angelangt. Die Übervölkerung tut ein Übriges.
Der Widerstand in den Zielländern gegen die Zuwanderung hat viele Facetten. Die meisten von ihnen sind wie die Gletscher in den Alpen: sie schmelzen allmählich ab. Das Menschenrecht auf Asyl wird auch vom positiven Recht zunehmend anerkannt. Die heutige Zivilgesellschaft übernimmt mehr und mehr den ursprünglich christlichen Imperativ, dass alle Menschen gleich sind. Viele Zuwanderer könnten bei enger Auslegung kein Recht auf Asyl bekommen. Ihre Chancen steigen dennoch. Denn ihnen stehen heute viele Berater zur Verfügung, die ihnen helfen, was auch immer die Motive für diese Hilfe sein mögen. Auch hier gibt es weltweit eine zunehmende Professionalisierung.
Zudem verlängern und erleichtern der Rechtsstaat und der Sozialstaat der reichen Welt das Leben zwischen erster Bodenberührung im Zielland und endgültiger Abschiebung. Diese Zwischenphase der Notbefreiung mag alleine schon viele Menschen zur Zuwanderung motivieren. Und kann diese Zwischenphase hinreichend verlängert werden, dann sprechen humanitäre Gründe dafür, auf die Abschiebung ganz zu verzichten. Das sind dann die Fälle einer „Ersitzung“ des Rechts auf Zuwanderung.