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Steuerbetrug : Wer ist schuld am Cum-Ex-Skandal?

  • Aktualisiert am

Gerhard Schick Bild: dpa

Mit umstrittenen Aktiendeals haben Anleger den Staat um mindestens 10 Milliarden Euro geprellt. Das war rechtswidrig, sagt nun ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Hätte die Politik den Betrug verhindern können?

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          Bei der Aufarbeitung umstrittener „Cum-Ex“-Aktiengeschäfte zulasten der Staatskassen haben sich Koalition und Opposition nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen können. Nach etwa einjähriger Arbeit des Bundestags-Untersuchungsausschusses sind sich Union, SPD sowie Grüne und Linke zumindest in dem Punkt einig, dass es sich bei den „Cum-Ex“-Geschäften mit Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag um illegale Transaktionen gehandelt habe. Bei den Schlussfolgerungen gehen die Meinungen jedoch auseinander, so dass sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Bericht verständigen konnten. So sieht die Koalition kein Versagen der Finanzverwaltung.

          Der Grünen-Politiker Gerhard Schick warf Union und SPD am Dienstag in Berlin vor, „alles klein zu kochen und den Schaden so niedrig wie möglich zu halten. Das ist Verweigerung von gemeinsamer parlamentarischer Arbeit.“ Aus Sicht des Linken-Politikers Richard Pitterle redet die Koalition das Versagen der Finanzverwaltung schön. Die umstrittenen Geschäfte fallen auch in die Amtszeit von Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und seines Nachfolgers Wolfgang Schäuble (CDU).

          Noch kein Urteil zu Cum-Ex-Geschäften

          Der Untersuchungsausschuss hat beleuchtet, wie es zu den 2012 gestoppten „Cum-Ex“-Aktiengeschäften kam. Bei solchen Transaktionen hatte der Fiskus über Jahre hinweg Anlegern die nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer mehrfach erstattet. Geklärt werden sollte, ob und wenn ja, rechtzeitig - geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, und ob diese ausreichten. Schätzungen über den möglichen Gesamtschaden reichen von etwa zehn und zwölf Milliarden bis zu 32 Milliarden Euro.

          Das Bundesfinanzministerium stufte die Transaktionen als rechtswidrig ein. Auch Koalition und Opposition sprechen von illegalen Geschäften, einige Fachleute hatten dies in der Vergangenheit bezweifelt. Ein höchstrichterliches Urteil steht aus, etliche Verfahren und Ermittlungen dauern noch an.

          Bei so genannten Cum-Ex-Geschäften spielten Aktienhändler ein Verwirrspiel mit dem Staat und Depotbanken. Dabei ging es um Leerverkäufe rund um den Stichtag der Dividendenausschüttung. Da zeitweise nicht ersichtlich war, wer tatsächlich Kapitalertragsteuer für die Dividende abgeführt hatte, wurden Bescheinigungen darüber ausgestellt, obwohl nur einmal gezahlt wurde.
          Bei so genannten Cum-Ex-Geschäften spielten Aktienhändler ein Verwirrspiel mit dem Staat und Depotbanken. Dabei ging es um Leerverkäufe rund um den Stichtag der Dividendenausschüttung. Da zeitweise nicht ersichtlich war, wer tatsächlich Kapitalertragsteuer für die Dividende abgeführt hatte, wurden Bescheinigungen darüber ausgestellt, obwohl nur einmal gezahlt wurde. : Bild: dpa

          Nach Darstellung der Koalition sieht der Ausschuss seine Auffassung bestätigt, dass die Geschäfte rechtswidrig gewesen seien: „Das deutsche Steuerrecht bot in den Jahren 1999 bis 2012 zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, eine einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer in rechtmäßiger Weise mehrfach anrechnen bzw. erstatten zu lassen“, heißt es im Berichtsentwurf: „Eine Gesetzeslücke hat insoweit nicht bestanden.“

          Aus Sicht von SPD-Fachmann Andreas Schwarz war der „objektive Straftatbestand der Steuerhinterziehung“ erfüllt. Der Ausschuss habe vor allem das kriminelle Netzwerk von Banken, Investoren und Beratern offengelegt. Diese hätten bewusst darauf verzichtet, die Zulässigkeit vorab mit den Finanzbehörden zu klären: „Stattdessen ließen sie sich die vermeintliche Rechtmäßigkeit der Geschäfte intern von Beratern oder Wissenschaftlern gutachterlich bestätigen.“ Schwarz betonte: „Größeren politischen Handlungsbedarf im Bund haben wir (...) nicht erkennen können.“

          „Katastrophale Fehler“ in der Finanzverwaltung

          Schick sprach vom größten Steuerskandal, den es je gegeben habe. Der Gesamtschaden werde auf 10 Milliarden Euro aus der Zeit von 2005 bis 2011 geschätzt. Dieser Betrag sei eine „fundierte Schätzung“ und basiere auch auf konkreten Handelszahlen des Börsendienstleisters Clearstream. Hinzu kämen Ausfälle durch ähnlich gelagerte „Cum-Cum“-Geschäfte, die erst 2016 gestoppt wurden. Ein möglicher Gesamtschaden von 32 Milliarden ist aus Sicht von Schick daher eine durchaus realistische Zahl.

          Aus Sicht der SPD dagegen ist der Gesamtschaden schwer zu ermitteln: „Niemand kann die Summe seriös berechnen“, heißt es. Berücksichtigt werden müssten auch bereits erfolgte und noch künftige Rückzahlungen sowie Strafgelder.

          „Den allergrößten Teil aus der großen Welle von 2009 bis 2011 hätte Schäuble verhindern können“, sagte Schick. Schäuble hätte früh signalisieren können, dass die Geschäfte kriminell seien, und er hätte die Staatsanwaltschaft einschalten können. Stattdessen habe es drei Jahre gedauert, bis „Cum-Ex“ unterbunden wurde und sieben Jahre bis zu einem Aus für „Cum-Cum“-Geschäfte.

          Pitterle sagte, die Ermittlungen hätten eindeutig ergeben, dass der Finanzverwaltung katastrophale Fehler unterlaufen seien, „die den milliardenschweren Raubzug der Cum-Ex-Mafia überhaupt erst ermöglicht haben“. Die Behauptung von CDU/CSU und SPD, die Finanzverwaltung habe keine Fehler gemacht, sei „fast schon bemitleidenswerter Versuch, die verantwortlichen Finanzminister Steinbrück und Schäuble aus der Schusslinie zu bringen“.

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