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Ungleichheit : Wie schlimm sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich?

Vor dem Cartier-Laden. Bild: picture alliance / Bildagentur-o

Eine neue Studie fordert mehr Umverteilung. Für Deutschland aber gilt das nicht unbedingt. Denn Deutschland geht es besser als vielen anderen Ländern.

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          Ist die Kluft zwischen armen und reichen Leuten zu groß? Wie viel Unterschied im Wohlstand müssen Länder hinnehmen? Gleich zwei neue Studien haben diesen Streit in den vergangenen Tagen befeuert. Die Überschriften lesen sich, als müsse viel mehr Geld zwischen Reich und Arm umverteilt werden. Doch bei genauerem Hinsehen ist das nicht so deutlich – gerade in Deutschland.

          Patrick Bernau
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Ungleichheit kostet Wachstum, Umverteilung dagegen bringt Wachstum: So war es in der Nacht auf Donnerstag zum Beispiel in einem neuen Forschungsbericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu lesen. Vom Internationalen Währungsfonds sind das ungewöhnte Töne. Entsprechend euphorisch war die Reaktion zum Beispiel von den Armutsbekämpfern der Organisation Oxfam. „In den schlechten alten Tagen forderte der IWF von den Regierungen eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben und der Steuern“, sagte der Chef des Oxfam-Büros in Washington, Nicolas Mombrial. „Wir hoffen, dass diese Studie und Christine Lagardes jüngste Bemerkungen auf einen Sinneswandel hindeuten.“

          Zwei Ökonomen aus der Forschungsabteilung des IWF hatten Wachstumszahlen aus 153 Ländern auf der ganzen Welt analysiert und resümiert: Die alte Sorge, dass hohe Steuern und hohe Transfers das Wirtschaftswachstum abwürgen, sei meistens unbegründet. Im Gegenteil: Je weiter sich die Reichen von den Armen entfernen, desto weniger Wachstum schaffen die Staaten durchschnittlich. Würden zum Beispiel die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich in den Vereinigten Staaten auf das Niveau des afrikanischen Kleinstaats Gabun wachsen, dann koste das die Vereinigten Staaten 0,5 Prozentpunkte Wachstum im Jahr.

          Gerade in Amerika wird die Diskussion um die Ungleichheit immer heftiger. In den vergangenen Jahren sind die Unterschiede zwischen der Mittelschicht und den reichsten Bürgern besonders groß geworden. Der Einkommensanteil des reichsten Prozents ist inzwischen so hoch wie zuletzt in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise.

          Deutschland ist viel gleicher

          Misst man die Ungleichheit am sogenannten „Gini-Koeffizient“ auf einer Skala von Null (alle Einkommen sind gleich) bis Eins (einer bekommt alles), ist die Einkommensungleichheit nach Steuern und Sozialleistungen seit 1990 von 0,35 auf 0,38 gewachsen. Auch in vielen anderen Ländern wächst die Ungleichheit, zum Beispiel in Schweden und Frankreich. In China entwickeln sich Arm und Reich besonders schnell auseinander. Inzwischen gibt es in China mehr Dollar-Milliardäre als in jedem anderen Land der Welt außer den Vereinigten Staaten. Selbst der Chef der nationalen Statistikbehörde hat schon vor der wachsenden Ungleichheit gewarnt.

          Ganz anders ist die Lage in Deutschland. Nach Gerhard Schröders „Agenda 2010“ haben viele Arbeitslose Arbeit gefunden. Deshalb näherten sich die Einkommen armer und reicher Leute jahrelang einander an, bis dieser Trend in der jüngsten Auswertung für das Jahr 2011 gestoppt wurde.

          Und wie ist es mit den Vermögen? Auch deren Verteilung kommt immer wieder in die Diskussion. Zuletzt hat am Mittwoch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie vorgestellt, der zufolge zwar die Unterschiede zwischen Vermögenden und Habenichtsen nicht weiter wachsen, aber die Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt sind wie in keinem anderen Land des Euroraums.

          In dieser Studie, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde, berücksichtigten die Forscher allerdings nur einen Teil der Vermögen. Die Altersvorsorge von Selbständigen in Immobilien, Wertpapieren und privaten Versicherungen wurde mitgerechnet, die Altersvorsorge von Beamten und Angestellten in Pensionen und gesetzlicher Rente dagegen blieb außen vor. Entsprechend maßen die Forscher große Vermögensunterschiede zwischen Selbständigen und Angestellten. Vor einigen Jahren hat das DIW selbst vorgerechnet: Wenn Renten- und Pensionsansprüche berücksichtigt werden, geht die Ungleichheit um rund ein Fünftel zurück.

          Bild: F.A.Z.

          Auch die Forscher des Internationalen Währungsfonds sind sich ihrer Umverteilungs-Empfehlung nicht sicher, wenn es um Deutschland geht. Wo schon viel Geld umverteilt werde, brächten zusätzliche Steuern und Sozialleistungen nicht unbedingt Wachstum, schreiben die Forscher. Deutschland aber gehört schon jetzt zu den größten Umverteilern der Welt. Auch die IWF-Studie lässt offen, ob weitere Umverteilung in Deutschland Wohlstand kosten kann.

          Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass Ungleichheit doch ein Ansporn ist und Wachstum befördert. Auf diese Möglichkeit hat der Ökonom Daron Acemoglu vor einem Jahr hingewiesen: Vielleicht spornen die Chancen auf großen Reichtum viele Amerikaner an, gewagte neue Ideen zu verwirklichen und neue Technik zu entwickeln, so wie die Internetfirmen Facebook und Google. Der Rest der Welt würde dann von dieser Technik profitieren, ohne selbst diesen Ansporn zu brauchen.

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