Schuldenrekord der Städte : 60 Städte in NRW sollen für schwächere zahlen
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Die Verschuldung vieler Kommunen hat sich drastisch verschärft. In Nordrhein-Westfalen sollen 60 Kommunen mit guten Steuereinnahmen vom kommenden Jahr an einen Solidaritätsbeitrag für schwächere Gemeinden zahlen.
Deutsche Städte und Gemeinde haben einen neuen Schuldenhöchstwert erreicht. Ende des vergangenen Jahres waren sie nach neuen Angaben des Statistischen Bundesamtes mit insgesamt 135,2 Milliarden Euro verschuldet. Jeder Einwohner hat damit rechnerisch Gemeindeschulden von 1810 Euro. Diese Verschuldung ist weit gespreizt: Im Saarland haben Städte und Gemeinden Schulden von 3120 Euro je Einwohner, in Baden-Württemberg hingegen 652 Euro je Einwohner (siehe Grafik). Für die Bertelsmann-Stiftung geht die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinander. „Einige Dutzend Städte und Landkreise haben so hohe Schulden, dass sie diese nicht mehr selbst überwinden können“, sagte René Geißler, Projektleiter für kommunale Finanzen der Stiftung. Selbst eine gute Konjunktur helfe Krisenkommunen kaum.

Redakteur in der Wirtschaft.
Viele Städte haben zwar mehr Einnahmen als Ausgaben und erzielen Überschüsse, andere aber nicht. Die Gemeinden in Hessen kommen mit 320 Euro auf das höchste durchschnittliche Defizit je Einwohner, vor Saarland und Mecklenburg-Vorpommern. Das liegt unter anderem auch daran, dass das Bundesland Mittel für die Gemeinden gekürzt hat. Gießler bemängelt den Anstieg von Kassenkrediten, die Kommunen eigentlich nur kurzfristig finanzieren sollen und denen keinen Investitionen gegenüberstehen. Im vergangenen Jahr hatten Kommunen im Saarland mit 1880 Euro und in Rheinland-Pfalz mit 1500 Euro den höchsten Kassenkreditstand je Einwohner. Viele Städte scheinen in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen, heißt es im kommunalen Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung, den diese am Dienstag veröffentlicht hat und der die Jahre von 2007 bis 2011 umfasst. In dem Zeitraum ist die Gesamtverschuldung der Städte und Gemeinden von 111 Milliarden Euro auf 130 Milliarden Euro gestiegen. Mehr als die Hälfte der Kassenkredite sei 2011 auf nur 30 Städte und Landkreise entfallen - die Mehrheit davon liegt in Nordrhein-Westfalen.
Die ungleiche Kassenlage will Nordrhein-Westfalen ausnutzen und 60 Kommunen mit guten Steuereinnahmen vom kommenden Jahr an einen Solidaritätsbeitrag für schwächere Gemeinden zahlen lassen. „Mit der Umlage wird keine Kommune überfordert“, sagte Landeskommunalminister Ralf Jäger (SPD) am Dienstag. Bis 2020 sollen wohlhabende Gemeinden 182 Millionen Euro im Jahr aufbringen. Am meisten soll mit 46 Millionen Euro im Jahr aus Monheim kommen. Die Stadt will gegen die Zahlung klagen.
Ende des vergangenen Jahres machten die Kassenkredite mit 47 Milliarden Euro schon mehr als ein Drittel der kommunalen Schulden aus. Als Schuldenhochburgen benennt der Bertelsmann-Bericht die Städte mit dem höchsten Kassenkredit je Einwohner Ende 2011: Dies sind Oberhausen mit 6870 Euro, Pirmasens mit 6215 Euro und Kaiserslautern mit 6040 Euro; dahinter folgen Hagen, Remscheid, Zweibrücken, Wuppertal, Ludwigshafen, Mainz, Essen, Mühlheim an der Ruhr und Offenbach. Die Werte der 15 Städte liegen jeweils deutlich über den höchsten Durchschnittswert der Bundesländer. Essen ist mit Kassenkrediten von mehr als 2 Milliarden Euro drei Mal so hoch verschuldet wie alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergischen Kommunen zusammen. Die Stadt leidet wie andere im Ruhrgebiet unter den Folgen der Deindustrialisierung. Vom Kommunen-Soli soll Essen mit 90 Millionen Euro im Jahr am meisten erhalten. Noch profitieren Städte von niedrige Zinsen. Doch die Zinssätze werden auch wieder steigen, sagte Geißler: „Dann schlägt es sich unmittelbar auf die Problemstädte durch.“ Das Zinsniveau von 2001 würde Mehrausgaben von 2,5 Milliarden Euro im Jahr bedeuten.
Unter gravierenden Finanzprobleme leiden nach Angaben des Deutschen Städtetags eine ganze Reihe von Städten. „Viele Kommunen mussten wegen ihrer völlig unzureichenden Finanzausstattung Kassenkredite aufnehmen“, sagte Hauptgeschäftsführer Stephan Articus. „Großes Augenmerk ist darauf zu richten, die Kommunen weiter von Sozialausgaben zu entlasten, denn gerade strukturschwache Städte leiden darunter besonders“, sagte er. Der Forderung der Bertelsmann-Stiftung nach einer Schuldenbremse lehnt Articus ab. „Wir brauchen keine Schuldenbremse für Kommunen, sondern eine Aufgabenbremse für Bund und Länder.“ Das Problem seien Aufgabenübertragungen. Schon jetzt gebe es haushaltsrechtliche Regeln, damit Städte und Gemeinden sich nicht zu stark verschulden. Die Länder müssten den Kommunen nur genügend Finanzmittel geben, damit sie vorhandene Schuldenschranken einhalten können.