Rot-Rot-Grün : Ein bisschen Venezuela in Berlin
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Rettet die Kiezkneipe, so heißt eine Bürgerinitiative, gesponsert von einer Berliner Brauerei. Als ob da noch etwas zu retten wäre. Bild: Ullstein
Rot-Rot-Grün übernimmt die Hauptstadt Berlin. Und vertreibt reiche Investoren. Kein Wunder: Wohnungspolitik macht jetzt ein Freund von Hugo Chávez. Und ist das Ganze ein Modellprojekt für den Bund?
Es war die mit Abstand überraschendste Personalie dieser Woche in Berlin, und sie wurde in den sozialen Netzwerken sofort heiß diskutiert. Für die Wohnungspolitik in der deutschen Hauptstadt, das derzeit wohl wichtigste Thema an der Spree, wird künftig ein früherer Hausbesetzer und Linksradikaler als Staatssekretär zuständig sein: Andrej Holm, 46 Jahre, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität.
Er kommt aus dem Osten, hat kurz vor der Wende als 18-Jähriger beim Stasi-Wachregiment Felix Dzierzynski angeheuert. Er veröffentlichte noch 2007 einen Sammelband, in dem er die „partizipative Stadtentwicklung“ im Venezuela des Diktators Hugo Chávez als vorbildhaft pries und linke Kritik an dessen Herrschaftspraktiken als „nicht mehr solidarisch“ abkanzelte. Im selben Jahr wurde er wegen seiner Nähe zu linksradikalen Gruppierungen als mutmaßliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung festgenommen – zu Unrecht, wie der Bundesgerichtshof urteilte.
Noch interessanter als Holms Vergangenheit ist freilich die Politik, für die er steht. Der künftige Staatssekretär arbeitete jahrzehntelang als Wissenschaftler, zeitweise als Schüler des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Er warf das Wort „Gentrifizierung“ in die Debatte, als die Verwandlung innerstädtischer Quartiere noch gar kein öffentliches Thema war. Und er ist entschlossen, diese Veränderung mit allen Mitteln zu bekämpfen. Von Mieterinitiativen und Aktivisten wurde seine Berufung euphorisch begrüßt, er ist der Star der Szene.
Stadt als „Schmelztiegel für zukunftsfähige, progressive Ideen“
Die ansonsten recht biedere Senatsmannschaft um den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist das erste rot-rot-grüne Bündnis unter der Führung eines Sozialdemokraten. Und das erste in einem Bundesland, das zumindest teilweise früher zum Westen gehörte. Damit wird es zum Vorbild für eine mögliche Regierung im Bund, mit der die SPD die ewige große Koalition hinter sich lassen könnte – vorausgesetzt, die drei Parteien zusammen kommen über ihre jetzigen 42 bis 43 Prozent in den Umfragen bis zum kommenden September noch hinaus. Von den 55 Prozent, die sie in der traditionell linken Hauptstadt gewählt haben, sind sie im Bund noch weit entfernt.
Als Aufbruch zu einer großen Erneuerung versuchen die Protagonisten von SPD, Grünen und Linkspartei ein solches Bündnis zu verklären, wenn sie sich zu treffen – zuletzt sogar unter demonstrativer Teilnahme des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Auch in Berlin kündigen sie in der Präambel ihres Koalitionsvertrags großspurig an, sie wollten die Stadt „als Schmelztiegel für zukunftsfähige, progressive Ideen entwickeln“.
Was dann auf 170 eng bedruckten Seiten folgt, ist allerdings nicht nur ein Dokument des gegenseitigen Misstrauens, sondern vor allem des Beharrungswillens: Berlin soll wieder so beschaulich und übersichtlich werden wie angeblich zu den Zeiten, als noch keine lauten Touristen und gut verdienenden Zuzügler in die Stadt strömten, als die Subventions-Milliarden in Ost und West noch flossen und man in Ruhe sein Schultheiß-Bier in der Eckkneipe trinken konnte, ohne allenthalben auf Hipster-Marken wie Tannenzäpfle oder Augustiner-Bräu zu treffen. Mit anderen Worten: Berlin soll wieder richtig arm werden, dafür dann aber nicht mehr sexy.