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Rentenreform : Die Rente mit 63 ist fatal

  • -Aktualisiert am

Die Nahles-Rente: Bis 2030 dürften sich Mehrausgaben von mindestens 160 Milliarden Euro ergeben Bild: dapd

Mit dem Rentenpaket betreibt die Bundesregierung Klientelpolitik. Gut verdienende Männer gehen bald mit 63 in Rente: Das ist das falsche Signal in der alternden Gesellschaft. Und irrsinnig teuer.

          7 Min.

          Der Frühling des Jahres 2014 droht als derjenige Moment in Erinnerung zu bleiben, an dem Deutschland begann, die Erfolge des vorangegangenen Reformjahrzehnts zu verspielen. Dies gilt vor allem für das Rentenpaket der Bundesregierung.

          Es handelt sich dabei um nichts weniger als die größte Leistungsausweitung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) seit der Einführung der dynamischen Rente durch Konrad Adenauer – zu Lasten zukünftiger Generationen und zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Koalitionsparteien betreiben damit eine Klientelpolitik, gegen die die Hotelsteuer als Bagatelle erscheint. Das Rentenpaket der Bundesregierung umfasst die folgenden vier Maßnahmen:

          • Die Ausweitung der anrechenbaren Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder (Mütterrente),
          • die abschlagsfreie Rente mit 63 für besonders langjährig Versicherte der Geburtsjahrgänge bis 1963,
          • Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente,
          • und die Anpassung der jährlichen Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsbudget) an die demographische Entwicklung (Anhebung des Reha-Deckels).

          Selbst im Kabinettsentwurf wird dieses Paket bereits mit Mehrausgaben von über 30 Milliarden Euro in der laufenden Legislaturperiode veranschlagt. Bis zum Jahr 2030 dürften sich Mehrausgaben von mindestens 160 Milliarden Euro ergeben. Die mit Abstand teuerste der Maßnahmen ist laut Gesetzentwurf mit etwa 6,5 Milliarden Euro jährlich die Ausweitung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Die daraus resultierenden Mehrausgaben werden sich nur allmählich bis in die 2050er Jahre reduzieren.

          Der Beitragssatz wird steigen müssen

          Zur Finanzierung der Leistungsausweitungen wird in dieser Legislaturperiode zunächst auf die Reserven der GRV zurückgegriffen, die sich auf etwa 32 Milliarden Euro am Ende des Jahres 2013 beliefen, und auf eine gesetzlich festgelegte Beitragssatzsenkung verzichtet. Mit den Reserven der GRV können die aus dem Rentenpaket resultierenden Mehrausgaben allerdings nicht dauerhaft finanziert werden. Somit wird der Beitragssatz perspektivisch über die bisher prognostizierten Werte steigen müssen.

          Im Klartext: Die mit den vergangenen Reformen zumindest bis zum Jahr 2030 erreichte und durch das Einhalten der Beitragssatzgrenzen definierte Demographiefestigkeit der GRV wird aufs Spiel gesetzt. Kindererziehungszeiten werden grundsätzlich rentenrechtlich berücksichtigt. Für Kinder, die vor dem Jahr 1992 geboren wurden, wird jedoch bislang lediglich das erste Jahr der Erziehung angerechnet. Es wird dabei so behandelt, als ob 100 Prozent des Durchschnittsentgelts verdient worden wären, so dass für diese Zeit genau ein Entgeltpunkt erworben wird.

          Überzeugende Begründungen fehlen

          Für Kinder, die ab dem Jahr 1992 geboren wurden, werden hingegen drei Entgeltpunkte gewährt. Ab dem 1. Juli 2014 sollen nun für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, zwei Entgeltpunkte bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden. Diese Stichtagsregelung wird als ungerecht angesehen. Doch die Ausweitung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten zum 1. Januar 1992 unterscheidet sich in keiner Weise von anderen Stichtagsregelungen, mit denen gesetzliche Regelungen in Kraft treten.

          So müsste etwa eine Rentnerin, die voriges Jahr gemäß der Regelaltersgrenze in Rente ging, einen Monat weniger arbeiten als ein Rentner, der dieses Jahr in Rente geht. Einen überzeugenden Grund, aus der Stichtagsregelung in einem Fall Handlungsbedarf abzuleiten und in anderen nicht, gibt es nicht. Eine überzeugende Begründung der Leistungsausweitung anhand familienpolitischer Ziele wird ebenfalls nicht geliefert.

          Bei der Ausweitung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Jahr 1989 für Mütter, deren Kinder ab 1992 geboren werden, hatten familienpolitische Ziele (mehr Geburten) im Mittelpunkt gestanden. Eine höhere Fertilitätsrate lässt sich mit einer nachträglichen Gewährung dieser Leistungen aber nun wirklich nicht erreichen. Die Begründungen für eine Ausweitung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten sind nicht stichhaltig.

          Die jüngeren Generationen werden stärker belastet

          Diese Maßnahme wird aufgrund der vorgesehenen Beitragsfinanzierung wesentlich dazu beitragen, dass die mit den Reformen der vergangenen Jahre zumindest bis zum Jahr 2030 erreichte finanzielle Nachhaltigkeit gefährdet wird. Infolgedessen müssen sich die jüngeren Generationen darauf einstellen, zukünftig noch stärker als bisher bereits absehbar durch die Finanzierung der GRV belastet zu werden.

          Im Jahr 2007 wurde der schrittweise Anstieg des gesetzlichen Renteneintrittsalters vom Jahr 2012 an auf 67 Jahre im Jahr 2029 beschlossen. Gleichzeitig wurde die Altersrente für besonders langjährig Versicherte eingeführt, wenn sie erstens das 65. Lebensjahr vollendet und zweitens eine Mindestversicherungszeit (sogenannte Wartezeit) von 45 Jahren erfüllt haben. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte kann derzeit ab dem 65. Lebensjahr ohne Abschläge in Anspruch genommen werden.

          Der Kreis der Bezugsberechtigen wird ausgeweitet

          Auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte werden neben Zeiten mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung andere Berücksichtigungszeiten angerechnet. Nicht berücksichtigt werden dagegen aktuell Pflichtbeiträge aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II. Mit dem Rentenpaket soll nun der Kreis der Bezugsberechtigten der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ausgeweitet werden. So sollen Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren wurden, frühestens einen Anspruch auf die Altersrente für besonders langjährig Versicherte haben, wenn sie erstens das 63. Lebensjahr vollendet und zweitens die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben.

          Für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1953 geboren wurden, besteht dieser Anspruch ab Vollendung des 63. Lebensjahres. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1952 geboren wurden, wird die Altersgrenze parallel zur Rente mit 67 angehoben, so dass im Jahr 2029 die Altersrente für besonders langjährig Versicherte wieder mit 65 Jahren möglich ist. Gemäß dem derzeit vorliegenden Entwurf sollen auf die Wartezeit von 45 Jahren lediglich Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II nicht angerechnet werden.

          Das zentrale Prinzip der Teilhabeäquivalenz

          Das impliziert, dass Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld bei der Erfüllung der Wartezeit Berücksichtigung finden. Laut Gesetzentwurf sollen als Mittel der Glaubhaftmachung dieses Bezugs Versicherungen an Eides statt zugelassen werden. Dies wäre etwa im Steuerrecht undenkbar und ist nichts anderes als eine Offenbarung der Hilflosigkeit im Angesicht administrativer Realitäten: Das kommt dabei heraus, wenn man im Nachhinein gegen ordnungspolitische Prinzipien der sozialen Sicherungssysteme verstößt.

          Denn bereits die aktuelle Regelung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte verstößt gegen das zentrale Prinzip der Teilhabeäquivalenz. Schließlich hat ein Versicherter, der 45 Erwerbsjahre mit Durchschnittsverdienst aufweist und auf diese Weise 45 Entgeltpunkte erworben hat, einen Anspruch auf die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Ein Versicherter mit 40 Erwerbsjahren, der aufgrund eines Verdienstes oberhalb des Durchschnittseinkommens ebenfalls auf 45 Entgeltpunkte und damit die gleiche Beitragszahlung kommt, kann allerdings mit 65 Jahren nur mit Abschlägen in den Ruhestand gehen.

          Hier führt also eine gleich hohe Beitragszahlung zu einer unterschiedlichen jährlichen Rentenzahlung. Die Neuregelung verstärkt diesen Verstoß gegen die Teilhabeäquivalenz. Darüber hinaus dürfte diese Ausnahme von der Anhebung der Regelaltersgrenze die beitragssatzsenkende Wirkung der Rente mit 67 verringern, da ein beträchtlicher Anteil der Versicherten, überwiegend männliche Facharbeiter, von der Altersrente für besonders langjährig Versicherte begünstigt würden.

          Bild: F.A.Z.

          Somit wird der Beitragssatz über den bisher aufgrund der demographischen Entwicklung vorgesehenen Beitragssatzpfad ansteigen. Um wie viele Prozentpunkte der ursprüngliche Pfad nach oben verschoben wird, hängt letztlich vom tatsächlichen Renteneintrittsverhalten der potentiell Begünstigten ab. Dazu ist folgende Überlegung hilfreich. Im Rentenzugangsjahr 2012 lag die durchschnittliche monatliche (Brutto-)Altersrente für besonders langjährig Versicherte bei 1.582 Euro. Dies entspricht etwa dem 1,25-Fachen einer Bruttostandardrente mit 45 Entgeltpunkten, also der Rente eines Durchschnittsverdieners mit 45 Erwerbsjahren.

          Wenn nun angenommen wird, dass die zukünftigen Bezieher einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Durchschnitt ihres Erwerbslebens das 1,25-Fache des Durchschnittsentgelts verdient haben, dann führt die Neuregelung und der damit verbundene abschlagsfreie Bezug der entsprechenden Altersrente ab dem 63. Lebensjahr für einen Versicherten des Geburtsjahrgangs 1952 zu einer Bruttorente von 1.582 Euro. Ohne die Neuregelung hätte er zu diesem Zeitpunkt lediglich mit Abschlägen für insgesamt 30 Monate in Rente gehen können. Seine Bruttorente wäre dann dauerhaft niedriger und hätte in diesem Fall nur 1.440 Euro betragen.

          Ein übermächtiger Anreiz

          Darüber hinaus ist es einem solchen Rentner möglich, mit einer abschlagsfreien (Voll-)Rente und einem Hinzuverdienst von maximal 450 Euro gut 80 Prozent seines durchschnittlichen Erwerbseinkommens zu erzielen. Übersteigt der Hinzuverdienst diesen Wert, ist zwar nur noch ein Teilrentenbezug möglich; je nach Art der Teilrente kann der Begünstigte bei Ausschöpfung der Hinzuverdienstgrenzen aber zwischen 80 und gut 90 Prozent seines potentiellen Erwerbseinkommens erzielen. Insgesamt ist der Anreiz, die Neuregelung in Anspruch zu nehmen, so übermächtig, dass wohl nur wenige Anspruchsberechtigte diese Einladung nicht annehmen werden.

          Zusätzlich ist es widersinnig, in einer Phase, in der das gesetzliche Renteneintrittsalter bereits schrittweise ansteigt und sich Arbeitnehmer wie Arbeitgeber mit erhöhten Weiterbildungsaktivitäten, der Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze sowie verstärkten Präventionsanstrengungen und einem entsprechenden Gesundheitsmanagement darauf einstellen müssen, für eine privilegierte Gruppe von (männlichen) Versicherten eine Absenkung des abschlagsfreien Renteneintrittsalters einzuführen.

          Schließlich beginnt sich in den kommenden 10 bis 15 Jahren, in denen diese Neuregelung wirksam sein wird, der demographische Wandel zu verschärfen, da die sogenannten Baby-Boomer, die vergleichsweise stark besetzten Geburtsjahrgänge der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, in den Ruhestand eintreten. Ein frühzeitiges Ausscheiden gerade dieser Erwerbstätigen aus dem Arbeitsleben macht die Reform besonders teuer.

          Weiter befördert wird das frühzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit der Regelung, dass Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs zur Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren mitzählen. Da die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes in Deutschland für Versicherte ab 58 Jahren 24 Monate beträgt, besteht also nunmehr für begünstigte Versicherte die Möglichkeit, mit 61 Jahren in die Arbeitslosigkeit zu gehen – womit entsprechende Mehrausgaben in der Arbeitslosenversicherung verbunden sein werden – und ab 63 eine abschlagsfreie Rente zu beziehen.

          Insgesamt dürfte die Neuregelung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte also die Arbeitsmarkterfolge der Agenda 2010, insbesondere die deutliche Erhöhung der Erwerbsquoten älterer Arbeitnehmer, stoppen. Dies ist für eine alternde Gesellschaft ein fatales Signal. Die Rente ist sicher? Sicher ist vor allem eins: Es wird einer weiteren, für die Betroffenen dann umso einschneidenderen Rentenreform bedürfen, um diese wieder zukunftsfest zu machen.

          Christoph M. Schmidt ist Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Präsident des RWI Essen. Anabell Kohlmeier ist stellvertretende Generalsekretärin des Sachverständigenrats. Lars P. Feld ist Mitglied des Sachverständigenrats und Direktor des Walter Eucken Instituts an der Universität Freiburg.

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