Reichsernährungsministerium : Agrarpolitik im Dienste Hitlers
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Die Grünen im Bundestag witterten einen Vertuschungsversuch. Am 9. Februar fragte ihr Abgeordneter Volker Beck den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Gerd Müller (CSU), warum ein Gutachten zur NS-Vergangenheit des Ministeriums unter Verschluss gehalten werde. Zuvor hatte der Bericht einer Historikerkommission zur Rolle des Auswärtigen Amtes im Nationalsozialismus für Aufsehen gesorgt. Auch das Finanzministerium hatte Zwischenergebnisses zu einem ähnlichen Gutachten veröffentlicht.
Das Bundesagrarministerium hingegen ging mit seinem Gutachten nicht an die Öffentlichkeit. Müller sagte, es sei durchaus möglich, in den ersten Teil des Gutachtens Einblick zu nehmen; dafür sei ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz nötig. Den zweiten Teil allerdings könne man aus Datenschutzgründen nicht veröffentlichen. Er enthalte die Bewertung der Lebensläufe von 62 ehemaligen Bediensteten des heutigen Ministeriums, „vom Boten bis zum Staatssekretär“. Untersucht wurde ihre politische Belastung im Nationalsozialismus. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurden fünf von ihnen als „nicht ehrwürdig“ eingestuft; einem ehemaligen Staatssekretär wurde deshalb ein Nachruf verweigert. Derzeit prüft der Bundesdatenschutzbeauftragte eine mögliche Veröffentlichung.
„Pragmatiker, Realist und Agrarfachmann“
Im Bundestag kündigte Müller an, der erste Teil des Gutachtens werde „alsbald“ veröffentlicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte aber jetzt schon die Möglichkeit, Einblick in die knapp 200 Seiten zu nehmen. Begonnen hat alles im Spätsommer 2005, als das Ministerium, damals noch unter Leitung der Grünen-Politikerin Renate Künast, den Bamberger Historiker Andreas Dornheim mit einem Gutachten beauftragte. Er sollte „Rolle und Inhalt der Agrarpolitik und Agrarforschung von Vorgängerinstitutionen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ untersuchen. Später kam ein Folgeauftrag dazu; Dornheim sollte Kriterien zur Bewertung der Ehrwürdigkeit ehemaliger Mitarbeiter „im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus“ entwickeln. Anfang 2006 lag der erste Teil des Gutachtens vor, im November 2007 der zweite mit den 62 Lebensläufen.
Trotz der äußerst technischen Herangehensweise - seitenlang werden die damaligen Geschäftsverteilungspläne erläutert - zeichnet das Gutachten ein düsteres Bild der NS-Agrarpolitik. Zentrale Figur im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft war Richard Walther Darré, der im Sommer 1933 zum Reichsernährungsminister ernannt worden war. „Obwohl er eine Ausbildung zum Diplom-Landwirt erhalten hatte, gehörte er eher zum Typus des radikalen völkischen Literaten“, schreibt Dornheim in dem Gutachten. Darré war ein glühender Vertreter der Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Neben seinem Ministeramt war er auch Reichsbauernführer. Damit stand er an der Spitze des Reichsnährstandes, einer gigantischen Zwangsorganisation mit 17 Millionen Mitgliedern und Zehntausenden Mitarbeitern, in der die vorherigen landwirtschaftlichen Organisationen aufgingen.