Pegida : „Abendland“ war stets ein Kampfbegriff
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„Abendland, Abendland, ich achte und verachte dich, Abendland“, krächzte André Heller im Jahr 1976. Warum meinen heute demonstrierende Dresdener Bürger, sie müssten das Abendland retten? Bild: AP
Pegida, das sind „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Aber wissen die Leute eigentlich, was sie verteidigen, wenn sie das Abendland verteidigen?
Am Montag begeht Pegida das erste Jubiläum. Zehn antiislamistische Märsche seit Oktober dieses Jahres: Das muss gefeiert werden, findet Pegida-Gründer Lutz Bachmann, am besten vor der Semperoper in Dresden ab 18.30 Uhr: „Wir wollen Weihnachtslieder singen. Bringt bitte alle eine Kerze mit.“ Tausende haben den Aufruf Bachmanns bei Facebook geliked oder geteilt.
Pegida, das heißt ausgeschrieben „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Was eigentlich wollen die Leute verteidigen, wenn sie mit Weihnachtsliedern vor der Semperoper das Abendland gegen seine Islamisierung schützen? Und wissen sie, was sie sagen, wenn sie vom Abendland reden? Vermutlich nicht. Oder allenfalls diffus. Den Kern der bis heute nicht wirklich verstandenen Bewegung beschreibt der koreanische Philosoph Byung-Chul Han als den Vorgang einer „Externalisierung von Angst“. Den Grund der Angst kennen wir nicht, es ist ein vages Unbehagen an der Moderne. Pegida löst diese Ängste auf in einen Dualismus von Freund und Feind: hier das gute christliche Abendland, das es zu verteidigen gilt, dort die Islamisten (den Islam?), die es abzuwehren gilt.
Abendland – das Wort ist schon lange nicht mehr in Mode. Seine Renaissance durch Pegida mutet einigermaßen bizarr an, hat der Begriff doch eine lange und vielfach unappetitliche Karriere hinter sich. Ausgerechnet zwischen Anfang der vierziger Jahre und Ende der fünfziger Jahre erlebte der Begriff seinen konjunkturellen Höhepunkt. „Abendland“, das war stets ein scharfer Kampfbegriff, der für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden konnte, aber explizit oder implizit immer mit „christlich“ ergänzt wurde. Zur Popularisierung trug Oswald Spenglers tief kulturpessimistischer „Untergang des Abendlandes“ (1922) bei.
Der Geschichte des Abendlands
Als optimistische Freunde der abendländischen Kampfesidee profilierten sich insbesondere nationalkonservative Katholiken und Nazis. Eine Zeitlang schmiedeten beide Gruppen, Katholiken und Nationalsozialisten, sogar eine eigentümliche Allianz: als es nämlich gemeinsam gegen die Sowjetunion ging. Nach der Niederlage von Stalingrad bedienten sich die Nazis der von den Katholiken seit der Romantik geprägten Abendlandidee, um den Krieg im Osten als von Deutschland geführten Kampf des gesamten westlichen Europas gegen den Bolschewismus darzustellen. Der Hamburger Historiker Axel Schildt nennt als einen Beleg unter vielen den Tagesbefehl Adolf Hitlers von Ende Januar 1943, unmittelbar nachdem Stalingrad verloren war: „Die Armee hält ihre Position bis zum letzten Soldaten und zur letzten Patrone und leistet durch ihr heldenhaftes Ausharren einen unvergesslichen Beitrag zum Aufbau der Abwehrfront und zur Rettung des Abendlandes.“ Hitler legte fortan großen Wert darauf, nicht als engstirniger Nationalist zu gelten; er gab sich als Kämpfer für ein geeintes Europa, das zugleich ein Bollwerk darstellen sollte gegen den Ansturm barbarischer Horden aus dem Osten.
Abgrenzung gegenüber dem nichtchristlichen Osten (im 20. Jahrhundert in Gestalt barbarischer Bolschewiken) und Bezug auf das christliche Mittelalter als goldenes Zeitalter des Abendlandes, das war die Idee, die Nazis und nationalkonservative Katholiken in den letzten Kriegsjahren teilten. Die propagandistische Rede der Nazis vom „Bollwerkscharakter“ gegenüber dem Osten habe auch die katholischen Anhänger des abendländischen Denkens überzeugt, sagt die Gießener Historikerin Vanessa Conze.