Osteuropa : Zwischen Kriegsangst und Tagesgeschäft
- -Aktualisiert am
Ein Tor zur EU? Im Westen der Ukraine sind die Böden fruchtbar und die umkämpften Gebiete weit entfernt. Dennoch ist die wirtschaftliche Zukunft unsicher. Bild: AFP
Die Krise in der Ukraine wirft ihre Schatten bis weit in die Nachbarländer hinein. Dort ist die Angst vor Russland häufig mit den Händen zu greifen. Ein Besuch in Polen.
Wird ein Investor, der sein Geld in Berlin anlegen möchte, sich von Ereignissen in Helsinki beeinflussen lassen? Wohl kaum, trennen beide Städte doch rund 1100 Kilometer. Ungefähr genauso lang ist die Luftlinie von Lemberg nach Donezk. Aber beide Metropolen liegen in der Ukraine und das lässt sie in der Wahrnehmung vieler ausländischer Beobachter ganz nahe zusammenrücken. Das bekommt auch der Vertreter der Region Lemberg (Lwiw) zu spüren, der auf dem Wirtschaftsforum im polnischen Krynica um Investitionen wirbt. Als einziger Podiumsteilnehmer soll er einer Handvoll Zuhörern erklären, warum sie ihr Geld ausgerechnet in ein Land stecken sollen, in dessen Osten jeden Tag Menschen sterben.
Dennoch redet er tapfer von der „perfekten Lage“ Lembergs als „Tor zur Europäischen Union“. Von der starken Landwirtschaft und den fruchtbaren Böden der Region, aus der jährlich eine Million Tonnen Getreide und 500 Millionen Eier stammen. Das Leben muss schließlich weitergehen – auch wenn viele Ukrainer derzeit nicht wissen wie. Die Krise im Südosten des Landes wirft ihren langen Schatten bis weit in die Nachbarländer hinein. Gerade in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten ist die Angst vor Russland häufig mit den Händen zu greifen. Noch vor zwei Jahren haben Polen und Ukrainer gemeinsam die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet, in den vergangenen Wochen hingegen wurde im damaligen Austragungsort Donezk scharf geschossen.
Ob die am Freitag vereinbarte Waffenruhe hält, muss sich erst noch zeigen. „Wird es Krieg geben?“ Diese Frage bekommen ausländische Fahrgäste in diesen Tagen nicht nur in polnischen Taxis häufiger gestellt. Eigentlich müsste es heißen: „Kommt der Krieg bald zu uns?“ Auch in Krynica täuscht die glatte Konferenzfassade nur auf den ersten Blick „Business as usual“ vor. Eine große Supermarktkette, die als Sponsor auftritt, hat demonstrativ Kisten mit Äpfeln vor ihrem Stand postiert – ein Zeichen des Widerstandes gegen russische Einfuhrverbote für Obst und Gemüse aus der Union. Äpfel gegen Putin!
„Das haben Ihre Führer verursacht“
Hier, in dem Kurort in den polnischen Westkarpaten, findet zum 24. Mal ein einzigartiges Treffen von Politikern, Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern aus Mittel- und Osteuropa statt. In den Medien hat das Treffen in Anlehnung an die Schweizer Veranstaltung den Beinamen „Davos des Ostens“ erhalten. Zygmunt Berdychowski mag diesen Vergleich nicht. „Unsere Veranstaltung hat ihren eigenen Charakter“, sagt der Veranstalter und beschwört „den Geist von Krynica“. Wer Osteuropa verstehen wolle, der müsse hierherkommen und zwischen Heilwasserquellen und Berghütten das Gespräch suchen. Beim Debüt 1991 ging es noch um die Aufarbeitung des polnischen Umbruchs. „Wir waren 40 Teilnehmer und haben alle in einen Raum gepasst“, erinnert sich Berdychowski schmunzelnd. Heute strömen mehr als 2500 in die 16.000 Einwohner zählende Kleinstadt.
Politische Spannungen habe es oft gegeben, erzählt er. Aber der Dialog habe immer stattgefunden. Diesmal sei alles anders und Berdychowski wirkt gezeichnet. Erstmals weigerten sich die ukrainischen Teilnehmer, Russisch zu sprechen – neben Englisch und Polnisch eine der drei Konferenzsprachen. Das Klima sei belastet. „Es ist ein Krieg Russland gegen Ukraine“, sagt Berdychowski unmissverständlich. Eine Deutlichkeit, die sich in den jungen EU-Mitgliedstaaten viele Menschen auch von den Altmitgliedern wünschen. „Unter diesen Umständen ist es unser größter Erfolg, dass sie überhaupt gekommen sind und miteinander reden“, findet Berdychowski. Mit Blick auf die Jubiläumsauflage im kommenden Jahr hat er jedoch Zweifel, ob ihm das noch einmal gelingt.