Kommentar : Desaster Venezuela
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Studenten protestieren in Caracas: Erst durch die Menschen in Venezuela ist der Wandel möglich. Bild: AFP
Der Niedergang Venezuelas hat mehrere Gründe. Er liegt nicht nur am Verfall des Ölpreises. Er liegt an Präsident Maduro und seiner Clique von Generälen und Linksideologen.
Ist denn kein Ende des Desasters in Venezuela absehbar? Während die tägliche Gewalt zwischen Polizei und Demonstranten eskaliert, spitzt sich die katastrophale Wirtschaftskrise immer weiter zu. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt ist nicht mal mehr in der Lage, seine Menschen ausreichend zu ernähren. Drei Viertel der Venezolaner haben im vergangenen Jahr im Schnitt zehn Kilo Gewicht verloren. Das Regime des sozialistischen Staatschefs Nicolás Maduro hätte bei freien Wahlen keine Chance mehr. Doch Maduro und seine Clique von Generälen und Linksideologen haben Venezuela in eine Diktatur verwandelt.
Das seit Ende 2015 von der Opposition dominierte Parlament wurde kaltgestellt, die anderen Gewalten gleichgeschaltet. Wie lange sich Diktatoren und Autokraten trotz des wirtschaftlichen Elends ihrer Bevölkerung an der Macht halten können, lehrt die Geschichte. Man denke nur an das Zimbabwe Roberto Mugabes oder an Mao Tse-tungs „Großen Sprung nach vorn“, der einst zig Millionen Chinesen an Hunger sterben ließ. Oder an bald 60 Jahre Castro-Kuba, das schon immer Maduros Vorbild war. Mit einer abgekarteten Verfassungsreform will Maduro Venezuela jetzt endgültig zu einem Staat machen, in dem die Regierung nicht mehr von Mehrheiten in freien und geheimen Wahlen abhängt.
Staatspleite könnte Regime stürzen
Dennoch könnte die wirtschaftliche Misere über kurz oder lang zur Implosion des Regimes führen. Dann nämlich, wenn Maduro das Geld ausgeht, um korrupte Militärs und andere Günstlinge bei Laune zu halten. Die Staatspleite rückt unweigerlich näher. Niemand weiß genau, wie Maduro die Mittel zusammengekratzt hat, um im April noch einmal rund 3 Milliarden Dollar Schulden des staatlichen Ölkonzerns PDVSA zurückzuzahlen. Ob dies im Herbst abermals gelingen wird, wenn noch höhere Zahlungen anstehen, ist fraglich.
Caracas : Weitere Tote bei Protesten in Venezuela
Fast alle Deviseneinnahmen erzielt Venezuela aus dem Ölexport. Zwar hat sich der Ölpreis gegenüber dem Tief von 2016 erholt. Doch die Förderung der maroden Anlagen sinkt Jahr für Jahr. Als der 2013 verstorbene Revolutionsführer Hugo Chávez 1999 an die Macht kam, förderte Venezuela noch 3,5 Millionen Fass am Tag. Nach der Verstaatlichung der Ölindustrie und 18 Jahren Misswirtschaft sind es heute weniger als 2 Millionen. Angesichts der schwindenden Öleinnahmen schnallt die Regierung den Gürtel für die Bevölkerung immer enger.
Korruption als Grund für Verfall
Für Warenimporte, die den größten Teil des Bedarfs an Konsumgütern decken, stehen kaum noch Devisen bereit. Die Einfuhr ist auf ein Viertel des Wertes von vor drei Jahren eingebrochen. Was von der heimischen Industrie nach den vielen Enteignungen noch übrig ist, steht weitgehend still, weil importierte Vorprodukte fehlen. Mit Bezugsscheinen und einem vom Militär verwalteten Verteilungssystem wird die Bevölkerung eher schlecht als recht mit dem Allernötigsten versorgt. Priorität haben die sozialistischen Lokalkomitees CLAP, die ihre Klientel so politisch bei der Stange halten.
Der Verfall der Ölpreise ist gewiss nicht der einzige, ja nicht einmal der wichtigste Grund für Venezuelas Niedergang. Auch der Sozialismus allein ist nicht schuld. Bolivien und Ecuador, zwei andere sozialistische Staaten Südamerikas, die ebenfalls vom Rohstoffexport leben, haben den Preisverfall wesentlich besser verkraftet als Venezuela. Der entscheidende Unterschied ist vermutlich die extreme Korruption, die in Venezuela mit der Verschwendung der Öleinnahmen einhergegangen ist. Sie ist gleichzeitig auch der wichtigste Grund, warum sich Maduro und seine Generäle so sehr an die Macht klammern. Viele führende Vertreter des Regimes müssten sich vor Gericht verantworten, verlören sie die Regierungsmacht. Auch im Ausland würden sie verfolgt. Maduros Vizepräsident steht auf der Fahndungsliste der amerikanischen Drogenpolizei, ebenso etliche andere Mitglieder der chavistischen Nomenklatur.
Nachbarländer müssen Druck aufbauen
Immerhin schaut die Welt der Tragödie in Venezuela inzwischen nicht mehr tatenlos zu. In den Vereinigten Staaten diskutiert der Kongress neue Sanktionen gegen das Land. Ihre schärfste Waffe wollen die Amerikaner aber offenbar (noch) nicht ins Feld führen. Ein Stopp der amerikanischen Ölimporte aus Venezuela würde Maduro in kürzester Zeit in die Knie zwingen. Den notwendigen Druck von außen müssen indes vor allem die anderen Länder Lateinamerikas aufbauen. Venezuelas Nachbarstaaten wären die größten Leidtragenden, wenn in Venezuela ein Bürgerkrieg entbrennen sollte, der Millionen von Flüchtlingen über die Grenzen treiben würde.
Der südamerikanische Staatenbund Mercosur hat Venezuela vorläufig ausgeschlossen. Doch letztlich muss der Regimewandel in Venezuela von innen kommen. Von jenen mutigen Menschen, die sich Tag für Tag den Polizeipanzern in den Weg stellen und die politischen Kosten der Unterdrückung für das Regime in die Höhe treiben. Und von geschickten Unterhändlern in den Reihen der Opposition, die einen ausreichend großen Teil der Chavisten davon überzeugen müssen, dass es auch für sie von Vorteil wäre, dem Regime den Rücken zu kehren.