Neue Statistik : Tarife regeln überraschend oft befristete Jobs
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Im Juli wurde der Tarifvertrag zwischen der IG Metall Küste und der Firma Hüttemann für die 170 Beschäftigten des Holzverarbeiters unterzeichnet. Der abgeschlossene Tarifvertrag soll mit höheren Gehältern und mehr Urlaubstagen auch bei der Suche von neuen Fachkräften helfen Bild: ZB
Eine Analyse des Statistischen Bundesamts zeigt erstaunliche Zusammenhänge: Mehr befristete Arbeitsverhältnisse und Teilzeitarbeit führen nicht dazu, dass Unternehmen aus Tarifverträgen fliehen.
Die Bindekraft von Tarifverträgen ist in Ostdeutschland geringer als in Westdeutschland, und sie nimmt überdies in beiden Landesteilen langsam, aber stetig ab. Diese Kernaussage findet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) alljährlich durch die Auswertung seines IAB-Betriebspanels, einer Befragung von rund 16.000 Betrieben, bestätigt. Damit ist die Tariflandschaft aber noch nicht annähernd vollständig beschrieben. Das zeigt eine vom Statistischen Bundesamt erstmals vorgelegte Analyse der Tarifbindung in Deutschland. Die Daten der Wiesbadener Statistiker, die sich auf eine Befragung von 34.000 Betrieben stützen, zeigen gleich mehrere erstaunliche Zusammenhänge. Sie erschüttern unter anderem die These, dass die Ausbreitung befristeter Arbeitsverhältnisse und die Zunahme vermeintlich unerwünschter Teilzeitarbeit das Ergebnis einer Flucht der Unternehmen aus den Tarifverträgen sei.
Tatsächlich gilt nach den Erkenntnissen des Statistischen Bundesamts für immerhin 61 Prozent aller Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen ein Tarifvertrag. Das sind sogar 7 Prozentpunkte mehr als in der Gruppe der Arbeitnehmer, die eine unbefristete Stelle haben. Sehr ähnlich fällt das Ergebnis des Vergleichs von Arbeitnehmern in Vollzeit- und in Teilzeitarbeitsverhältnissen aus: Für ebenfalls 61 Prozent der Teilzeitbeschäftigten gilt ein Tarifvertrag. In der insgesamt größeren Gruppe der Vollzeitbeschäftigten sind es 8 Prozentpunkte weniger, also nur 53 Prozent. Teilzeitarbeit und befristete Stellen werden in anderen politischen Zusammenhängen oft als „atypische“ oder „prekäre“ Arbeit gewertet.
Die zentrale Erklärung dafür, dass Tarifverträge in diesen Fällen - scheinbar - negative Folgen für die Beschäftigten haben, liefert der öffentliche Dienst: Dort gibt es besonders viele Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmer mit befristeten Stellen; im Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwesen ist der Anteil der Befristungen mit annähernd 15 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Industrie. Gleichzeitig ist auch die Tarifbindung im Staatssektor immer noch besonders hoch; im Kernbereich der öffentlichen Verwaltung fallen laut Statistischem Bundesamt nach wie vor praktisch alle Beschäftigten unter einen Tarifvertrag. In den Berufen des Sozial- und Erziehungswesens sind außerdem typischerweise Frauen deutlich überrepräsentiert. Das führt in der Analyse zur Tarifbindung dazu, dass auch der Anteil der von Tarifverträgen geschützten Frauen im Erwerbsleben mit 57 Prozent um drei Prozentpunkte höher ist als der entsprechende Anteil der Männer.
Überhaupt zeigt der Vergleich der Tarifbindung in den Branchen sehr große Unterschiede auf. So liegt die Finanzdienstleistungsbranche mit einem Anteil von 90 Prozent tarifgebundenen Arbeitnehmern dicht hinter dem öffentlichen Dienst. Für die chemische Industrie weist das Statistische Bundesamt einen Anteil von rund zwei Dritteln aus. Innerhalb der Metall- und Elektroindustrie bewegt sich der Fahrzeugbau, gemessen an der Tarifbindung der Arbeitnehmer, auf Augenhöhe mit der chemischen Industrie; der Maschinenbau liegt mit gut 50 Prozent etwas darunter; die Sparten Computer und Elektronik erreichen knapp 40 Prozent.
Arbeitnehmer mit Tarifvertrag haben Lohnvorsprung
Für den Einzelhandel, dessen Arbeitgeber vor einiger Zeit mit der Gewerkschaft Verdi einen tariflichen Mindestlohn vorbereitet hatten, weist das Statistische Bundesamt einen Anteil rund 40 Prozent tarifgebundenen Arbeitnehmern aus. Dies bestätigt, dass der Einzelhandel die im Tarifvertragsgesetz als Bedingung für einen solchen Mindestlohn vorgesehene Hürde von 50 Prozent nicht ohne weiteres erreichen kann. Für das Hotel- und Gaststättengewerbe haben die Statistiker ermittelt, dass dort ebenfalls für rund 40 Prozent der Beschäftigten ein Tarifvertrag greift. Minijobber, die dort eine besonders große Rolle spielen, sind in der Statistik allerdings nicht berücksichtigt.
In einem Punkt unterscheiden sich die Ergebnisse des Statistischen Bundesamts auffällig von jenen des IAB: Sie haben für Ostdeutschland eine deutlich höhere Tarifbindung gemessen. Zwar weisen auch die Wiesbadener Statistiker ein Ost-West-Gefälle aus, nach ihren Daten sind in den neuen Ländern 48 Prozent der Arbeitnehmer tarifgebunden und in den alten Ländern 56 Prozent. Das IAB hatte zuletzt für den Osten aber nur noch 36 Prozent gemessen. Für den Westen hingegen unterscheiden sich beide Erhebungen kaum.
Bemerkenswert ist außerdem, dass laut Statistischem Bundesamt Arbeitnehmer mit Tarifvertrag in der Industrie einen besonders großen Lohnvorsprung gegenüber Arbeitnehmern ohne Tarifvertrag haben. Der durchschnittliche Bruttomonatslohn ist hier für tarifgebundene Arbeitnehmer mit knapp 3800 Euro um 850 Euro höher als für nicht tarifgebundene. Im Dienstleistungsbereich haben tarifgebundene Arbeitnehmer mit 3250 Euro indes nur einen Vorsprung von 190 Euro.