Neue Statistik : EU macht weniger Gesetze als angenommen
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Weniger bedeutender Ideengeber als angenommen: Das EU-Parlament Bild: dpa
80 Prozent aller deutschen Gesetze würden faktisch von der EU in Brüssel vorgegeben, rechnen Industrieverbände und Umweltschützer vor. Doch eine neue Statistik des Bundestages zeigt: Tatsächlich geht nur ein Drittel auf einen EU-Impuls zurück.
Der Einfluss der Europäischen Union auf die deutsche Gesetzgebung ist geringer als allgemein angenommen. Nur 31,5 Prozent – also weniger als ein Drittel – der in der laufenden 16. Legislaturperiode vom Bundestag verkündeten und verabschiedeten Gesetze gingen auf einen Impuls der EU zurück. Das geht aus einer Statistik der Bundestagsverwaltung hervor.
Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Ressorts. So wurden nur 17 der insgesamt 74 in die Zuständigkeit des Innenministeriums fallenden Gesetze von Brüssel und Straßburg aus angestoßen. Das sind ungefähr 23 Prozent. Im Agrarressort betrug der Anteil dagegen 52 Prozent, im Umweltressort sogar 67 Prozent. Bei den in die Zuständigkeit des Finanzministeriums fallenden Gesetzen wiederum lag der Anteil trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise mit ungefähr 33 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt. Im Wirtschaftsressort waren es ungefähr 38 Prozent.
Die laufende Legislaturperiode ist nach Angaben der Bundestagsverwaltung keineswegs eine Ausnahme. In der vorangegangenen Legislaturperiode betrug der Anteil der europäisch initiierten Gesetze 39,1 Prozent, in der Periode davor 34,5 Prozent. In den neunziger Jahren lag der Anteil sogar nur bei knapp 25 Prozent. Erfasst werden in der Statistik alle Gesetze, die auf EU-Regelungen zurückgehen – aber auch Gesetzesänderungen, die etwa nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) nötig sind.
Ein „80-Prozent-Mythos“
Regelmäßig sprechen Befürworter und Kritiker der EU gleichermaßen davon, dass 80 Prozent aller deutschen Gesetze heute von der EU bestimmt würden. Fachleute kritisieren indes seit langem, dass es sich dabei um einen Mythos handelt. Dieser „80-Prozent-Mythos“ geht auf eine Rede des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, im Jahr 1988 zurück. Er sagte damals vor dem Europaparlament: „In zehn Jahren werden 80 Prozent der Wirtschaftsgesetzgebung, vielleicht auch der steuerlichen und sozialen, gemeinschaftlichen Ursprungs sein.“
In den folgenden Jahren wurde diese Prognose zunächst vor allem von Gegnern einer stärkeren Zentralisierung in der EU aufgegriffen. Allerdings war dabei schon nach kurzer Zeit nicht mehr davon die Rede, dass irgendwann 80 Prozent der Gesetzgebung aus Brüssel kommen, sondern es wurde schlicht behauptet, dass das schon so sei. Verstärkt wurde der Effekt dadurch, dass die deutschen Industrieverbände, aber auch Organisationen wie Greenpeace das „80-Prozent-Argument“ dazu nutzten, um für ein stärkeres Engagement auf EU-Ebene zu werben. Im Europawahlkampf im Frühjahr dieses Jahres sollte es zudem die Wähler motivieren, ihre Stimme abzugeben.
Ernstzunehmende Studien, die die 80-Prozent-Quote stützen, gibt es nicht. Zwar sprechen sowohl der ehemalige bayerische Ministerpräsident und Leiter einer Bürokratieabbaugruppe der EU, Edmund Stoiber, als auch der EU-Kritiker Roman Herzog (beide CSU) immer wieder davon, dass Studien den starken EU-Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung belegten. Letztlich stützen sich beide aber lediglich auf die Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage aus dem Jahr 2005. In dieser teilt die Bundesregierung mit, dass von 1998 bis 2004 die EU 18 167 Verordnungen und 750 Richtlinien erlassen habe. Auf Bundesebene stünden dem 3055 Rechtsverordnungen sowie 1195 Gesetze gegenüber. Auf Basis dieser Zahlen käme man tatsächlich auf einen EU-Anteil von mehr als 80 Prozent an der Gesetzgebung.
Zwischen Verordnungen und Richtlinien wird nicht unterschieden
Allerdings wird in dieser Statistik nicht zwischen EU-Verordnungen und Richtlinien auf der einen Seite und zwischen Rechtsverordnungen und Gesetzen auf der anderen differenziert. Rechtsverordnungen schreiben vor, wie bestehende Gesetze in den Einzelheiten ausgeführt werden sollen. Sie werden nicht vom Bundestag, sondern von der Exekutive festgesetzt. Dasselbe gilt für den mit Abstand größten Teil der EU-Verordnungen. Sie werden nicht von EU-Parlament und Ministerrat erlassen, sondern gemeinsam von Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten, um die Details der allgemeinen Gesetzgebung zu regeln.
So zieht etwa die EU-Regelung zum Ökodesign, mit der die EU strikte Mindestklimaschutzauflagen etwa für Büro- oder Haushaltsgeräte vorschreibt, eine Vielzahl von Detailregeln nach sich, da es für jede einzelne Gerätegruppe eigene Standards gibt. Mehr als 50 Verordnungen werden das insgesamt sein, schätzen Fachleute. Bezieht man diese EU-Verordnungen in die Statistik mit ein, ergibt sich deshalb nach Ansicht von Fachleuten ein verzerrtes Bild – und der Einfluss der EU wirkt stärker, als er tatsächlich ist.