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Mini-Oase : Das süße Leben im EZB-Steuerparadies

Kleine Oase im Bankenzentrum: Die Europäische Zentralbank Bild: Fiechter, Fabian

Mitten in Frankfurt gibt es eine Oase mit günstigen Steuersätzen für die Mitarbeiter der EZB. Wie alle EU-Angestellten profitieren sie von EU-Sondertarifen. Nun gibt es Streit um das Steuerprivileg.

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          Die Europäische Zentralbank (EZB) ist ein attraktiver Arbeitgeber. Sie bietet interessante Aufgaben für Hochqualifizierte, ein internationales, kosmopolitisches Arbeitsumfeld – und keine schlechte Bezahlung. Derzeit sucht sie neue Bankenaufseher. Erfahrene Aufseher verdienen 65.000 bis 100.000 Euro. Die Führungsspitze der Bankenaufsicht, das „Supervisory Board“, erhält fast 220.000 Euro Jahresgehalt.

          Philip Plickert
          Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.

          Dazu kommen für Paare eine Haushaltszulage von 5 Prozent, für jedes Kind 325 Euro Kindergeld sowie Beihilfen für Schulgebühren und für ausländische Mitarbeiter eine Expat-Zulage von 16 Prozent auf das Gehalt und die Zuschläge – insgesamt ein nettes Paket. Zusammengenommen zahlte die EZB vergangenes Jahr rund 174 Millionen Euro für Personalkosten; umgerechnet auf die Beschäftigtenzahl ergab das im Durchschnitt fast 100.000 Euro je Mitarbeiter.

          Ein spezieller Einkommensteuertarif für 45.000 EU-Mitarbeiter

          Besonders attraktiv ist aber die Besteuerung für EZB-Beschäftigten. Denn sie fallen wie alle Angestellten und Beamten in EU-Institutionen unter einen speziellen europäischen Einkommensteuertarif. So bestimmt es eine EU-Verordnung von 1968, alle geschätzt 45.000 EU-Mitarbeiter gilt. Er beginnt nach einem kleinen Freibetrag mit 8 Prozent Eingangssatz und endet bei 45 Prozent Höchststeuersatz. Dazu kommt noch eine Sonderabgabe von derzeit 6 Prozent auf einen Teil des Nettogehalts.

          Diese Steuerprogression ist – verglichen mit den Tarifen der allermeisten EU-Länder – „äußerst moderat“, findet Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, ein Spezialist für internationale Steuerbelastungsvergleiche. Und alle Zulagen, etwa die Haushalts- und Expat-Zulage, sind für die EU-Mitarbeiter sogar komplett steuerfrei.

          Bild: F.A.Z.

          Die höheren Steuerstufen von 40 oder 45 Prozent greifen erst ab recht hohen Einkommen. So kommt es, dass ein EU- oder EZB-Mitarbeiter bei einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro derzeit etwa 13,5 Prozent Durchschnittssteuerbelastung hat. Hinzu kommt noch die Sonderabgabe, dafür werden aber die diversen Zulagen nicht besteuert. Zum Vergleich: Nach deutschem Recht muss ein alleinstehender Steuerpflichtiger von 60.000 Einkommen etwas mehr als 28 Prozent an den Fiskus abführen.

          Bei 100.000 Euro Jahreseinkommen ist der Unterschied der Steuerbelastung immer noch groß: Während der deutsche Fiskus davon 34 Prozent verlangt, müssen EZB-Mitarbeiter nur etwa 24 Prozent Steuer plus Sonderabgabe abführen, alle Zulagen bleiben ihnen jedoch voll. Rechnet man alles zusammen, ergibt sich damit für einen EZB-Expat in Frankfurt eine um fast ein Drittel geringere Steuerbelastung als für einen normalen deutschen Steuerpflichtigen.

          Der verschuldeten Stadt Frankfurt fehlten die Einnahmen

          In der Finanzmetropole wird über die Sondertarife für EZB-Mitarbeiter meist nur hinter vorgehaltener Hand geredet. Sie sind aber in der Finanzszene wohl bekannt. Und sie wirken wie ein Magnet auf Bundesbank-Mitarbeiter, die sich überlegen, zur derzeit neu errichteten EZB-Bankenaufsicht zu wechseln. Eine erhebliche Zahl Bundesbanker, rund 100, könnte in die EZB-Türme wechseln, schätzt man. Nun aber ist um die Steuersondertarife für die EZB im Stadtparlament ein Streit ausgebrochen. Denn die EZB hat nicht nur günstige Tarife, ihre Mitarbeiter zahlen die Steuern nicht an den deutschen Fiskus, sondern nach Brüssel, in den Haushalt der EU-Kommission.

          Die Fraktion der Freien Wähler (FW) im Römer findet das fragwürdig. „Die außerordentlich günstige Sonderbesteuerung der EZB-Mitarbeiter ist deshalb skandalös, weil der verschuldeten Stadt Frankfurt damit Einnahmen verlustig gehen“, sagt Wolfgang Hübner, FW-Fraktionsvorsitzender, der zudem Mitglied der euroskeptischen AfD ist. Er findet, die derzeit 1800 EZB-Mitarbeiter müssten dazu beitragen, dass die kulturellen und infrastrukturellen Angebote in Frankfurt finanziert werden.

          „Keine Argumente für so ein privilegiertes Steuerregime“

          Aus der EZB und von der Stadtspitze ist hingegen zu hören, die Mainmetropole profitiere doch davon, dass Europas Zentralbank hier stehe. Es gibt aber auch Ökonomen, die es durchaus zweifelhaft finden, dass die EZB quasi wie exterritorial behandelt wird. „Die EZB-Mitarbeiter nehmen die deutsche Infrastruktur in Anspruch“, sagt ZEW-Finanzwissenschaftler Heinemann. „Ich sehe keine Argumente für so ein privilegiertes Steuerregime“.

          Über die EU-Steuersätze entscheiden der EU-Ministerrat und das EU-Parlament. Im Brüsseler Parlament gibt es nur wenige, die an dem Besteuerungssystem rütteln. Eine davon ist die CDU-Abgeordnete Ingrid Gräßle: „Ich halte die aus deutscher Sicht sehr günstige Besteuerung für EU-Mitarbeiter und auch für die EZB nicht für angemessen, weil sich daraus im Vergleich zum öffentlichen Dienst anderer Mitgliedstaaten ein sehr hohes Netto-Gehaltsniveau ergibt“, sagte sie dieser Zeitung.

          Ökonom spricht von „EU-Kartell“

          Michael Wohlgemuth vom Think Tank Open Europe Berlin kritisiert: „Die EU-Mitarbeiter haben Gehälter, Steuerprivilegien, steuerfreie Zuschlägen und überaus günstige Sozialversicherungen, auf die Staatsdiener und erst recht Bürger in den meisten Mitgliedstaaten nur neidisch sein können.“ Es wäre an der Zeit, dass sich die EU bei Steuern und Abgaben ihrer Beamten und Mitarbeiter an dem orientiert, was auch die Bürger der EU im Durchschnitt effektiv an den Staat zahlen müssen.

          Aber warum geschieht das nicht? Warum beschneiden weder die EU-Regierungen noch das EU-Parlament die Privilegien der EU- Beamten und EZB-Mitarbeiter. ZEW-Ökonom Heinemann vermutet: „Keine Regierung will sich einen Riesenärger mit einer mächtigen Interessengruppe einhandeln. Und das Parlament, finde ich, kommt seiner Kontrollfunktion nicht genügend nach.“ Er spricht sogar von einem „EU-Kartell“, das sich gegenseitig Privilegien zuschanze.

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