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Mindestlohn : Die deutsche Gurke ist in Gefahr

Harte Handarbeit: Mit dem „Gurkenflieger“ schweben die Erntehelfer über das Feld Bild: dpa

Der Mindestlohn könnte dem Gurkenanbau den Garaus machen. Weil die Discounter die Preise drücken, gehen die gestiegenen Löhne zu Lasten der Landwirte. Entsprechende Ausnahmeregelungen werden verhandelt.

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          Walter Jäger versteht die Welt nicht mehr. „Wir wollen doch alle Gemüse aus der Region“, zürnt der Bauer aus Hückelhoven am Niederrhein, „aber künftig werden wir wohl nur noch Gurken aus Indien essen.“ Schuld daran sei der Mindestlohn.

          Johannes Ritter
          Korrespondent für Politik und Wirtschaft in der Schweiz.

          Walter Jäger baut Gurken an. Nicht die großen Salatgurken, die in der Regel aus Gewächshäusern kommen. Er zieht die kleineren Gurken groß. Jene dunkelgrünen krummen Dinger, die auf dem freien Feld wachsen, von Hand geerntet und hernach als Gewürzgurken oder Cornichons in Essigsud eingelegt werden. Rund 1.000 Tonnen verkauft er im Jahr. Damit zählt er zu den kleineren Anbietern. Doch ob klein oder groß: Die Feldgurkenernte ist ein saisonales Geschäft, für das Jäger im Juli und August einen Schwung arbeitsamer Helfer braucht.

          „Unsere Lohnkosten steigen schlagartig um rund ein Fünftel“

          Die Arbeit auf dem sogenannten Gurkenflieger ist hart: Auf dem breiten Ausleger eines Treckers schweben die Pflücker auf dem Bauch liegend über das Feld. Deutsche lassen sich dafür schon lange nicht mehr gewinnen. Jäger holt sich daher im Sommer immer zwei Dutzend Polen auf den Hof. Womöglich werden sie ihre Arbeit bald verlieren.

          Bisher zahlte Jäger seinen Erntehelfern rund 7 Euro die Stunde. Doch nach dem Willen der Bundesregierung soll er ihnen vom kommenden Jahr an den neuen Mindestlohn von 8,50 Euro gewähren. „Das würde bedeuten, dass unsere Lohnkosten schlagartig um rund ein Fünftel steigen“, rechnet der Landwirt vor. Aber kann er diese Mehrkosten nicht einfach an seinen Abnehmer weiterreichen? Jäger liefert seine geernteten Gurken direkt an das Unternehmen Stollenwerk in Düren, wo das junge Gemüse sogleich weiterverarbeitet wird. „Vom Acker direkt ins Glas – schneller und frischer geht es nicht. Das macht die Qualität dieser Ware aus“, wirbt der Bauer.

          Ein schmaler kalkulatorischer Grat

          Aber damit ihm Stollenwerk höhere Preise zahlen könnte, müsste es dem Familienbetrieb seinerseits gelingen, gegenüber dem Einzelhandel deutlich höhere Preise durchzusetzen. Jäger bezweifelt, dass dies möglich ist. „Aldi, Lidl, Edeka & Co halten da den Daumen drauf.“ Selbst der deutsche Marktführer im Geschäft mit Gewürzgurken, die Carl Kühne KG aus Hamburg, kann sich nicht vorstellen, künftig 50 bis 80 Cent mehr für jedes Glas verlangen zu können. Die Folgen? „Ich fürchte, dass der Gurkenanbau aus Deutschland abzieht“, sagt der Kühne-Geschäftsführer Stefan Leitz. Dazu seien die durch den Mindestlohn provozierten Kostennachteile zu hoch.

          Wie schmal der kalkulatorische Grat ist, lässt sich an den Cornichons ablesen. Diese kleineren Gurken bezieht Kühne schon zum größten Teil aus der Türkei, weil deren Ernte wegen der geringen Größe des Gemüses verhältnismäßig viel Handarbeit erfordert. „Das lohnt sich für die deutschen Bauern nicht.“ Anders verhält es sich bei den klassischen großen Gewürzgurken.

          „Dann baue ich Kartoffeln an. Die kann ich mit Maschinen ernten“

          Diese bezieht Kühne noch zu 80 Prozent von heimischen Bauern, die ihre Felder in der Nähe der unternehmenseigenen Verarbeitungsbetriebe in Schweinfurt und Straelen haben. Nur wie lange noch? „Wenn die Landwirte wegen des Mindestlohns künftig auf Gemüsesorten ausweichen, die weniger personalintensiv zu ernten sind, müssen wir unseren Gurkenbedarf im Ausland decken“, warnt Leitz.

          Stellt sich dann nicht auch die Frage, ob Kühne, Stollenwerk und all die anderen Anbieter von Gemüsekonserven ihre Verarbeitungsbetriebe langfristig ins Ausland verlagern? Darüber möchte Leitz derzeit lieber noch nicht spekulieren. Der Gurkenbauer Jäger vom Niederrhein nimmt hingegen kein Blatt vor den Mund: „Wenn wir die Gurken nicht mehr in Düren anliefern, geht irgendwann auch die Produktion weg – in Länder wie Ungarn, Polen, Indien oder die Türkei.“

          Einen möglichen Ausweg aus der Misere sähe er darin, wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht schon Anfang 2015, sondern stufenweise erst bis Ende 2016 eingeführt werden müsste. Verhandlungen mit der Bundesregierung über entsprechende Ausnahmeregelungen für die Landwirtschaft laufen bereits. „Dann könnten wir uns schrittweise an die neue Kostensituation herantasten und sehen, wie sich das Ganze entwickelt.“ Große Hoffnungen macht sich Jäger nicht. Er weiß schon, was er tut, wenn er mit Gurken kein Geld mehr verdienen kann: „Dann baue ich Kartoffeln an. Die kann ich mit Maschinen ernten.“

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