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Kommentar : Klimapräsident Barroso

  • -Aktualisiert am

40 Prozent bis 2030: José Manuel Barroso präsentiert die Ziele der EU Bild: AFP

Bundesregierung und Klimaschützer kritisieren das EU-Klimapaket lautstark. Warum? Es war naiv zu glauben, dass Europa dem deutschen Kurs folgen würde.

          3 Min.

          Zum „Klimapräsidenten“ werden sie José Manuel Barroso nicht küren. Zu stark weicht das Klimapaket, das der Präsident der Europäischen Kommission am Mittwoch vorgelegt hat, vom klimapolitischen Mainstream ab. Dabei stellt der Portugiese den Klimaschutz nicht in Frage. Er will nur den widersprüchlichen Zielewirrwarr beenden und die Klimapolitik so mit den Interessen der Wirtschaft versöhnen. Die EU soll sich deshalb nach 2020 ganz auf den Abbau der Kohlendioxidemissionen konzentrieren. Diese will Barroso nun bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent senken (gegenüber dem Wert von 1990). Alle weiteren, bisher parallel dazu verfolgten Ziele wie den Ausbau der erneuerbaren Energie oder die Senkung des Energieverbrauchs will er faktisch abschaffen. Nur pro forma finden diese noch Erwähnung.

          Die Bundesregierung und andere Klimaschützer warfen Barroso prompt vor, er gefährde die Vorreiterrolle Europas im Klimaschutz. Ohne klare eigenständige Ziele sowohl für den Klimaschutz als auch für die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz sei der Umbau der Energiesysteme gefährdet, sagt Energieminister Sigmar Gabriel. Warum das so sein soll, sagt der SPD-Vorsitzende nicht. In den internationalen Klimaschutzverhandlungen geht es nämlich auch nur um ein Ziel: den CO2-Ausstoß so stark zu reduzieren, dass die Erdtemperatur um nicht mehr als zwei Grad über das vorindustrielle Niveau steigt. Um ihren Beitrag dazu zu leisten, benötigt die EU weder Ökostrom- noch Energiesparziele. Sie muss lediglich den Ausstoß begrenzen. Das Instrument dafür hat sie: den Emissionshandel. Er begrenzt die Emissionen auf das gewünschte Niveau, versieht sie mit einem Preisschild und setzt deshalb Anreize, CO2 zu reduzieren. Nicht ohne Grund findet dieser Teil der EU-Klimapolitik immer mehr Nachahmer auf der Welt.

          Der Zwang zum Nachjustieren

          Was spricht für weitere Ziele? Ein Ökostromziel etwa benötigt, wer den Energiemix beeinflussen möchte. Schließlich ist nicht nur die Wind- und Sonnenkraft emissionsfrei, sondern auch die Kernenergie. Unter Klimaschutzgesichtspunkten ist sie deshalb ebenso attraktiv. Die Befürworter eines Ökostromziels argumentieren, nur damit könne die EU Investitionen in emissionsarme Technologien verlässlich anstoßen. Sie glauben nicht daran, dass Stromerzeuger und Industrie innovative Ideen entwickeln, wenn der Emissionshandel den Kohlendioxidausstoß verteuert. Sie allein meinen zu wissen, wie die EU das Klima schützen und welche erneuerbaren Energieträger sie dazu fördern muss.

          Die deutsche Erfahrung belegt das Gegenteil. Die Feinsteuerung des Ökostromausbaus ist gescheitert. Niemand weiß, wie sich Technologien und Märkte entwickeln. Das führt beinahe zwangsläufig zu hohen Kosten. Kein Ökostromziel-Anhänger hat vorhergesehen, wie schnell die Preise für Solarmodule fallen würden. Das Ausbautempo der Solarenergie, das die Politik mit hohen Stromabnahmepreisen angeregt hat, wurde stark unterschätzt. Deswegen ist die Politik in solchen Systemen gezwungen, immer wieder nachzujustieren. Die nun von Gabriel angestoßene Reform der deutschen Förderpolitik dürfte daher nicht die letzte sein.

          Bundesregierung droht das Abseits

          Hinzu kommt, dass sich Ökostromausbau und Emissionsabbau nicht unabhängig voneinander betreiben lassen, sondern sich gegenseitig beeinflussen. Auch das lässt sich in Deutschland gut beobachten. Der starke Ökostromausbau hat zum Verfall der Stromgroßhandelspreise geführt. Zugleich hat er einen Beitrag dazu geleistet, dass der Preis für Emissionsrechte gesunken ist. Das führt dazu, dass sich der Betrieb von Kohlekraftwerken wieder lohnt und der CO2-Ausstoß steigt – zumal der Strompreis für den Betrieb der klimafreundlicheren Gaskraftwerke zu niedrig ist. Verhindern lässt sich so etwas abermals nur, wenn die Politik stetig nachjustiert, etwa indem sie Emissionsrechte aus dem Markt nimmt. Das aber raubt der Wirtschaft die nötige Planungssicherheit.

          Bild: dpa, F.A.Z.

          Es spricht deshalb alles für eine Konzentration auf ein einfaches CO2-Ziel und den Emissionshandel. Das gilt umso mehr, da der Emissionshandel schon auf europäischer Ebene organisiert ist. Der Ausbau des Ökostroms hingegen ist ein rein nationales Phänomen. Das gilt allem voran und trotz aller proeuropäischen Rhetorik spätestens seit dem deutschen Atomausstieg. Auch das treibt die Kosten. Schließlich ist es effizienter, Wind- und Sonnenkraft in Portugal und Spanien auszubauen als in Bayern. Deshalb wäre das deutsche Eintreten für ein Ökostromziel zumindest glaubwürdiger, wenn die Bundesregierung bereit wäre, die Ökostromförderung zu europäisieren.

          Die Bundesregierung muss aufpassen, dass sie mit ihrer Energiewende nicht politisch wie ökonomisch im Abseits landet. Es war naiv zu glauben, dass Europa dem deutschen Kurs folgen würde. Die meisten EU-Staaten sind mit der Besinnung auf ein CO2-Ziel, aus welchen Gründen auch immer, vollauf zufrieden. Gefahr, international Reputation zu verlieren, läuft die Europäische Union nicht. Die Vereinigten Staaten, China oder die Malediven interessieren sich nicht für Teil- und Unterziele. Auf das Ganze kommt es an – und da ist die EU den anderen Staaten der Welt immer noch voraus.

          Hendrik Kafsack
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

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