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Arbeitsmarkt : Keine Panik um die Zweitjobs

Auch Professoren haben Nebenjobs - bisweilen lukrative Beraterverträge. Bild: dpa

Rund zwei Millionen Deutsche haben nicht nur einen, sondern mindestens gleich zwei Jobs. In Deutschland etabliere sich eine Klasse der „working poor“, sagen notorische Schwarzseher. Doch Ökonomen sehen einen anderen Grund für den Aufschwung der Zweitjobs. Eine Analyse.

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          Für notorische Schwarzseher sind diese Zahlen ein gefundenes Fressen: Die Zahl der Mehrfachverdiener ist  innerhalb von vier Jahren um 13 Prozent gestiegen, wie das Statistische Bundesamt zum Tag der Arbeit bekannt gab. Diese Zahlen zeigten, dass der deutsche Arbeitsmarkt sich auf angelsächsischen Pfaden bewege und sich auch hierzulande eine Klasse der „working poor“ etabliere - eine Gruppe von Menschen, die trotz Arbeit arm ist und deshalb einen zweiten Job zum (über-)leben braucht. So lautet eine gängige und auf den ersten Blick auch für viele eingängige Interpretation. Aber stimmt sie auch?

          Sven Astheimer
          Verantwortlicher Redakteur für die Unternehmensberichterstattung.

          Bei genauem Hinsehen lässt sich die Armutsthese bislang nicht belegen. Im Gegenteil: Die Hinweise, die seriöse Arbeitsmarktforscher haben, sprechen eine andere Sprache. Sicherlich gibt es auch Menschen, die aus materiellen Zwängen auf einen Hinzuverdienst angewiesen sind. Aber sie sind nach allem, was man weiß, in der Minderheit.

          Der Niedriglohnsektor in Deutschland wächst nicht mehr

          Viele Doppelverdiener sind gut qualifiziert; man denke an den Professor, der nebenbei ein Beratungsmandat ausübt oder den Facharbeiter, der ein Gewerbe angemeldet hat. Außerdem zeigen Analysen, dass die Doppelverdiener viel häufiger in wirtschaftlich starken Ballungsgebieten Süddeutschlands vorkommen als etwa im strukturschwachen Osten.

          Der Zusammenhang zur Nachfrage liegt auf der Hand. Wo Vollbeschäftigung herrscht und der Bedarf an Arbeitskräften besonders hoch ist, nehmen Menschen die Chance auf attraktive Hinzuverdienste gerne wahr. Steigende Konsumwünsche spielen dabei als Antriebsfeder eine wichtige Rolle. Gegen das Armutsargument spricht zudem, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts nicht mehr wächst.

          Das Steuerprivileg der Minijobber

          Statt um ein sozialpolitisches könnte es sich bei den Mehrfachjobbern vielmehr um ein steuersystematisches Phänomen handeln, glauben Ökonomen. Denn in der Mehrzahl der Fälle wird ein sozialversicherter Hauptberuf durch einen Nebenverdienst auf Minijobbasis angereichert. Bei dieser sogenannten geringfügigen Beschäftigung erhält ein Arbeitnehmer bis zu einer Obergrenze von 450 Euro im Monat seinen Lohn brutto für netto. Es besteht also ein erheblicher Anreiz, keine Mehrarbeit im Hauptberuf zu leisten, wenn sich per Minijob sämtliche Abgaben sparen lassen.

          Es gibt also keine Rechtfertigung, den Zweitjob unter Generalverdacht zu stellen. Wenn es um Beschäftigung und Sozialpolitik geht, heben deutsche Politiker sonst gerne die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten als leuchtende Vorbilder hervor. Bei unseren nördlichen Nachbarn wie etwa in Dänemark sind Zweitjobquoten von 10 Prozent keine Seltenheit. Schon deshalb bieten 5 Prozent in Deutschland auch keinen Grund zur Panik.

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