Karl Lauterbach : „Haarscharf entlang der Wahrheit“
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Der Mann mit der Fliege ist umstritten Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Für die Gesundheitsreform gibt es viele Konzepte: eins von der Union, eins von der Gesundheitsministerin und eins von Karl Lauterbach. Der sieht sich von Feinden umstellt, denn die Kritik an seinem Rezept kommt aus allen Lagern.
Es gibt einen, der weiß, wie das Gesundheitswesen zu reparieren wäre. Karl Lauterbach heißt der Mann. Und wer in diesen Tagen nicht genau aufpaßt, der könnte meinen, es gäbe nur diesen einen Kundigen für die vertrackte Materie:
Professor Lauterbach - Spitzname „Karlchen überall“ - rettet auf allen Kanälen, ständig. Den Höhepunkt seines medialen Schaffens erreichte er, als vergangene Woche ein Reformmodell in Nachrichtensendungen nach ihm benannt wurde. Da gibt es das Konzept der Union. Das der Gesundheitsministerin. Und das „Lauterbach-Konzept“.
Dabei ist der 43 Jahre alte Gesundheitsökonom mit den zwei Doktortiteln („Ich hatte mit 35 drei C4-Rufe“) im Deutschen Bundestag nicht mehr als ein Hinterbänkler: Abgeordneter für den Wahlkreis 102 (Leverkusen/Köln IV), Mitglied der SPD-Fraktion - und von der mit Bedacht nicht in eine hervorgehobene Position in Gesundheitsfragen gewählt.
Von niemandem zu bremsen
In die entsprechende Arbeitsgruppe der großen Koalition ist er dann doch gerutscht; in der Annahme der Parteioberen, anders sei der Mann mit dem Sendungsbewußtsein nicht zu stoppen. Das war ein Irrtum. Er ist nicht zu bremsen. Von niemandem. Wittert Lauterbach seine Chance, ist er da. Ob zu Spezialistenthemen oder zu Populärem - Lauterbach liefert Meinung, Zahlen, Zitate.
Und eine Studie gibt es meist obendrauf. Die sei nie ganz falsch, aber zuweilen fragwürdig, sagen seine Kritiker. „Haarscharf entlang der Wahrheit“, wie es einer seiner schärfsten Widersacher, Jörg-Andreas Rüggeberg, Präsident des Fachärztedachverbandes, formuliert; genervt von „Lauterbachs professoralem Getue“.
Jeder Wissenschaftler, der sich in die Politik wagt, weckt Ressentiments (ein Professor aus Heidelberg kann ein Lied davon singen). Bei Lauterbach ist das anders. Da geht es um Haß. An ihm demonstrieren Mediziner, daß sich auch im weißen Kittel munter pöbeln läßt. In Internetforen wird der Mann mit der Fliege zum Hochstapler, der die Zeit in Harvard maßgeblich im Copy-Shop verbracht hat.
Kritik hört er nicht gern
Wenn Lauterbach in Berlin zufällig in die Nähe einer Arzt-Demo geraten sollte, „dann kann es schon passieren, daß ihm ein Ei an den Kopf geworfen wird“, schildert Verbandspräsident Rüggeberg den Grad der Zerrüttung zwischen Lauterbach und Medizinern, denen er - leicht überspitzt - mindere Leistung zu überhöhten Bezügen vorwirft.
Das liebste Schlagwort Lauterbachs ist Solidarität. Das Gesundheitswesen versteht er als Mittel zur Umverteilung, von oben nach unten. Wobei er definiert, was als oben und unten zu gelten hat. Chefärzte sind oben, klar. Jeder, der ein Sparbuch besitzt, irgendwie auch - zur Strafe hat er Zinsen an der Gesundheitskasse abzuliefern.
Wer Lauterbachs Ideen attackiert, der ist in seinen Augen schnell Teil einer „bösartigen, primitiven Diffamierungskampagne“ gegen ihn. Zu dieser Kampagne zählt er selbst harmlose Fragen nach seiner Unabhängigkeit: Wie unparteiisch er sein kann, wenn er gleichzeitig im Aufsichtsrat der börsennotierten Rhön-Kliniken sitzt oder im Beirat des wissenschaftlichen Instituts der AOK.
„Linker Ideologe in einem maroden System“
Derartige Zweifel könne er nicht gelten lassen, sagt Lauterbach barsch. Wer hinter solchen Vorwürfen steckt, das weiß er auch: Mißgünstige, mittelmäßige Kollegen, von denen es viele gibt („Ich habe international mehr veröffentlicht als der Rest des Sachverständigenrates“) oder die garstige Ärzte-Lobby. Oder noch böser: die Pharmaindustrie, der liebste Feind aller Verschwörungstheoretiker überhaupt.
Neulich wurde nachts in Lauterbachs Wahlkreisbüro eingebrochen. „Das waren Profis, die hatten es auf meinen Laptop abgesehen“, sagt der SPD-Politiker. Auch dieser Diebstahl sei - und das meint Lauterbach ernst - die Folge seines Kampfes gegen die übermächtige Gesundheitslobby und die sie finanzierende Industrie; genauso wie die Schmähbriefe und die anonymen Anzeigen bei Steuerbehörden.
Es ist wahr: Je mächtiger der Gegner, um so ruhmvoller der Kampf. Dabei ist Lauterbachs tatsächlicher Einfluß ungleich geringer als die öffentliche Wahrnehmung, wie ein Pharmalobbyist bestätigt: „Auch die SPD-Leute in den Ministerien hören nicht auf den selbsterklärten Robin Hood aller Entrechteten.“ Ein „linker Ideologe in einem maroden System“ sei der Professor, urteilt der Vorstandschef eines Pharmakonzerns. „Hochintelligent, sehr schlau.“
Das ist dumm für die Industrie. Noch dümmer ist, daß ihm die Union niemand Ebenbürtiges entgegensetzen kann. Horst Seehofer war so einer. Doch der macht nun in Ackerbau und Verbraucherschutz und überläßt dem Abgeordneten aus dem Wahlkreis 102 das Feld.