Stabilitätspakt : Dijsselbloem verschärft Kritik an Juncker
- -Aktualisiert am
Jeroen Dijsselbloem Bild: AFP
Der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem ist besorgt über den Umgang mit dem Stabilitätspakt. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die EU behandle große und kleine Länder unterschiedlich.
Der Chef der Eurogruppe, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, hat seine Kritik an der EU-Kommission wegen deren Umgang mit dem EU-Stabilitätspakt verschärft. Er spüre immer mehr Unruhe in den Mitgliedstaaten angesichts der Art und Weise, wie die EU-Behörde die Regeln des Pakts anwende, sagte Dijsselbloem am Dienstag im Europaparlament in Brüssel. In den Mitgliedstaaten verdichte sich der Eindruck, dass viele der Kommissionsentscheidungen kaum noch zu verstehen oder vorherzusagen seien oder dass die Kommission große und kleine Länder unterschiedlich behandle. „Darüber bin ich sehr besorgt“, sagte er.

Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.
Ausdrücklich bezog sich der Niederländer auf Äußerungen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dieser hatte vor zwei Wochen in Paris erklärt, Frankreich habe wiederholt Ausnahmen von den Regeln des Pakts gewährt bekommen, „weil es Frankreich ist“ (F.A.Z. vom 2. Juni). „Ich versuche, das zu verstehen“, kommentierte Dijsselbloem Junckers Äußerung. Die Kommission müsse als Hüterin der Verträge „sehr vorsichtig“ sein, um jeglichen Eindruck zu vermeiden, sie behandle unterschiedliche Länder unterschiedlich. Auch die Kommissionsentscheidung, Spanien und Portugal mehr Zeit zur Korrektur ihres übermäßigen Staatsdefizits einzuräumen, werfe Fragen auf.
Die Eurogruppe und die Finanzminister aller 28 EU-Staaten, deren Vorsitzender Dijsselbloem derzeit turnusgemäß ebenfalls ist, wollen über die wirtschafts- und haushaltspolitischen Kommissionsempfehlungen an diesem Donnerstag und Freitag in Luxemburg beraten. Trotz der Kritik an der EU-Kommission, die neben Dijsselbloem auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geäußert hatte, sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Minister die Brüsseler Vorschläge mit der erforderlichen „umgekehrten qualitativen Mehrheit“ zurückweisen.
Zähe Beratungen über gemeinsame Einlagensicherung
Hauptanlass für Dijsselbloems Auftritt im Parlament war sein Rechenschaftsbericht als amtierender EU-Ratsvorsitzender. Zum 1. Juli übergeben die Niederlande die Ratspräsidentschaft an die Slowakei. Der Minister gab der Erwartung Ausdruck, dass seine EU-Amtskollegen am Freitag einen vom Ratsvorsitz vorgelegten Fahrplan zur weiteren Beratung der umstrittenen Kommissionsvorschläge für eine vergemeinschaftete Einlagensicherung im Euroraum billigen werden. Darin ist vorgesehen, die aus vielen Teilschritten bestehende Bankenunion bis 2024 abzuschließen und darin auch das Regelwerk für die gemeinsame Einlagensicherung zu integrieren. Die Bundesregierung und die deutschen Kreditinstitute lehnen die Pläne weiterhin grundsätzlich ab.
Dijsselbloem sagte, die bisherige Diskussion des Kommissionsvorschlags auf Beamtenebene habe viele Schwierigkeiten und offene Fragen offenbart. Aus einem Arbeitspapier der Ratspräsidentschaft geht hervor, dass Deutschland, das mit seiner Ablehnung der Kommissionsvorschläge zunächst annähernd isoliert gewesen war, mittlerweile etliche Verbündete gewonnen hat. So hat vor allem Frankreich auf Druck seiner Großbanken seine vorbehaltlose Unterstützung aufgegeben. Die großen französischen Institute stehen nicht mehr hinter dem Plan, möglichst schnell einen europäischen Fonds zu schaffen. Andere Länder unterstützen diese Vorschläge, die eine Überführung der nationalen Einlagensicherungssysteme in einen gemeinsamen europäischen Fonds bis 2024 vorsehen. Wieder andere, vor allem Italien, dringen auf eine noch schnellere Europäisierung der nationalen Fonds.
Überwiegend unwillig haben viele Mitgliedstaaten auf die Tatsache reagiert, dass die Kommission bislang keine sogenannte Auswirkungsstudie vorgelegt hat, mit der die Folgen einer Vergemeinschaftung abgeschätzt werden könnten. An eine solche Vergemeinschaftung wäre nach deutscher Auffassung frühestens zu denken, wenn die von den Banken in der EU ausgehenden Risiken reduziert worden sind.
Dijsselbloem sagte am Dienstag, beides müsse Hand in Hand gehen. Der Niederländer schlägt daher eine parallele Beratung beider Themen vor. Deshalb sollten die Minister am Freitag beschließen, dass in den Einschätzungen die Vergemeinschaftung und die Senkung von Risiken Hand in Hand gehen sollten.
Als wichtigsten Erfolg verbucht die Bundesregierung die Tatsache, dass sich viele Länder gegen das Ansinnen der Kommission sperren, das Vorhaben auf Grundlage von Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) voranzutreiben. Dieser Artikel steht für die Angleichung von Rechtsvorschriften zur Verfügung, die mit dem Binnenmarkt zu tun haben. Mindestens eine qualifizierte Minderheit der Staaten vertritt die Ansicht, dass ein europäischer Einlagensicherungsfonds nicht auf dieser Grundlage geschaffen werden kann. Alternativ stünde der die sogenannte „Vertragsabrundungskompetenz“ betreffende Artikel 352 zur Verfügung, der europäische Gesetzgebung auf allen Feldern ermöglicht, die zum Erreichen der in den EU-Verträgen genannten Ziele erforderlich scheinen. Eine weitere Option wäre ein zwischenstaatlicher Vertrag. In beiden Fällen könnte Deutschland – anders als auf Grundlage von Artikel 114 - nicht überstimmt werden.