Italien weiterhin verärgert : Kritik an deutschen Überschüssen
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Plötzlich hin- und hergerissen: Matteo Renzi, Chef der Regierungspartei, nutzte das Reizthema der Überschüsse gerne für Kritik an Merkel. Bild: EPA
Italien kritisiert Deutschlands Handelsüberschüsse. Dabei hortet Deutschland das Geld keineswegs. Es fließt aber nur selten nach Italien.
Wenn am Freitag beim G-7-Gipfel das Streitthema der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse auf den Tisch kommt, sind die italienischen Gastgeber hin- und hergerissen: Einerseits hat Matteo Renzi, ehemaliger Ministerpräsident und nun Parteichef der wichtigsten Regierungspartei PD, während der vergangenen Monate das Thema der übergroßen deutschen Überschüsse besonders gerne für die Kritik an Angela Merkel benutzt.
Andererseits hat Italien 2016 einen Rekordüberschuss von 60,6 Milliarden Euro in der Handelsbilanz und mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 43,1 Milliarden Euro selbst wachsenden Erfolg im Ausland. „Trotz der Divergenzen um die Überschüsse zwischen Deutschland und Italien steht beim G7 ein noch wichtigeres Thema im Vordergrund, die Gefahr des Protektionismus und der Hang zur Deglobalisierung bei Theresa May und Donald Trump“, sagt der Wirtschaftsprofessor Giuseppe Di Taranto von der römischen Universität Luiss.
Weiterhin Kritik an Deutschland
In Italien steht Deutschland wegen seines Leistungsbilanzüberschusses von zuletzt 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) besonders unter Beschuss. Wenn die Töne derzeit etwas leiser sind, dann sei das nur eine Frage der Diplomatie gegenüber Brüssel, weil Italien weiter Flexibilität bei den Haushaltszielen braucht, meinen italienische Kommentatoren.
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Zum Angebot„Derzeit hoffen alle, dass nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich auch die Italiener keine Hausaufgaben mehr machen müssen, daher braucht man auch nicht daran zu erinnern, dass sie auch Deutschland nicht gemacht hat“, sagt die Wirtschaftsdozentin Veronica De Romanis. Der Wirtschaftsprofessor und Senator von Renzis Partei PD, Paolo Guerrieri, sagt jedoch voraus, dass dieses Thema schon bald wieder im Mittelpunkt stehen wird: „Das wird wichtig für Gespräche der Franzosen und Italiener mit den Deutschen, und vor allem für die Demokratische Partei von Renzi bleibt dieses Thema von großer Bedeutung.“
Italien lässt Wachstumsunterschiede außer Acht
Renzi und seine Partei verknüpfen die Daten vom Leistungsbilanzüberschuss mit der Vorhaltung, dass Deutschland die Schuld habe am schwachen Wachstum in Italien. Die Deutschen wollten nicht mehr konsumieren und nicht mehr importieren, um damit die italienische Wirtschaft anzukurbeln, ist der Tenor von Politikern und Medien. Die Daten von Eurostat, die etwa für den deutschen Konsum pro Kopf für die Jahre von 2007 bis 2016 ein Wachstum von 23 Prozent ausweisen, bleiben unberücksichtigt. Italien folgert aus der Stagnation im eigenen Land, dass dies in Deutschland ebenso sein müsse.
Dabei klafft zwischen beiden Ländern auch eine Schere beim realen Wachstum: Von 2007 bis 2016 hat sich beim Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland und Italien eine Differenz von 16 Prozentpunkten angesammelt – ohne dass schnelleres Wachstum in Deutschland die italienische Wirtschaft beflügelt hätte.
Deutsche Investitionen gingen in andere Länder
In den Köpfen der Politiker und Ökonomen bleibt jedoch die Darstellung des „Corriere della Sera“ hängen, wo der stellvertretende Chefredakteur Federico Fubini auf einer ganzen Seite schrieb, dass Deutschland mit seinen riesigen Leistungsbilanzüberschüssen der Weltwirtschaft immer wieder große Beträge entziehe, damit wachse nur Deutschland, nicht aber der Rest der Welt. Diese Betrachtung enthält die Annahme, dass Überschüsse in Deutschland gehortet werden. Die Statistiken über die Direktinvestitionen Deutschlands der OECD sprechen jedoch dagegen: Im Jahrzehnt von 2006 bis 2015 gingen von Deutschland Direktinvestitionen von insgesamt 624 Milliarden Dollar ins Ausland, davon 93 Milliarden Dollar nach Großbritannien, 50 Milliarden Dollar in die Vereinigten Staaten. Italien war dabei nur wenig interessant als Investitionsziel und konnte nur 2 Prozent der deutschen Direktinvestitionen ins eigene Land holen.
Nach der Statistik der OECD hat Deutschland in den Jahren 2006 bis 2015 von den Erträgen früherer Investitionen insgesamt 234 Milliarden Dollar wieder im Ausland angelegt. Erträge aus Italien wurden aber vorwiegend abgezogen, weshalb sich bei den Daten zur „Wiederanlage von deutschen Erträgen“ ein Kapitalabfluss von 6 Milliarden Euro ergibt.