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Gastbeitrag : Gefahr für die schwarze Null

  • -Aktualisiert am

Flüchtlinge auf dem Weg zur Erstaufnahme in Bayern. Selbst im günstigsten Fall dürfte die hohe Zahl der Einwanderer den deutschen Haushalt mit zweistelligen Milliardenbeträgen belasten. Bild: AFP

Finanziell steht Deutschland gut da. Gleichzeitig haben sich die Risiken stark erhöht. Das liegt nicht nur an den ungewissen Kosten der Zuwanderung und der Euro-Krise. Die eigentliche Gefahr ist hausgemacht.

          10 Min.

          Zuweilen entsteht durch die Klagen von Interessengruppen in der öffentlichen Berichterstattung ein verzerrter Eindruck. Daher lohnt es sich, immer wieder darauf hinzuweisen: Deutschland geht es gut, zumindest hinsichtlich der wesentlichen Kennzahlen wie Beschäftigungslage, Preisstabilität und Wirtschaftswachstum. Diese günstigen Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass der gesamtstaatliche Haushalt von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen in diesem Jahr abermals gut abschneiden wird. Der gesamtstaatliche Überschuss dürfte bei 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegen und damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,4 Prozentpunkte ansteigen. Die Staatsschuldenquote, also der Bruttoschuldenstand in Prozent der Wirtschaftsleistung, wird sogar stärker sinken, als es diese Zahlen andeuten: nämlich von 74,9 Prozent auf 70,8 Prozent. Je nachdem, wie hoch die zusätzlichen Ausgaben aufgrund der Flüchtlingsmigration ausfallen werden, könnte 2016 sogar weiterhin ein Finanzierungsüberschuss erreicht werden. Die Staatsschuldenquote dürfte dann erstmals seit der Finanzkrise wieder unter 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken.

          Korrigiert um die konjunkturellen Einflüsse, trübt sich die Einschätzung allerdings etwas ein. Der Sachverständigenrat und die Bundesbank erwarten, dass sich die deutsche Wirtschaft schon 2015 in der konjunkturellen „Normallage“ befindet. Das bedeutet, dass die Produktionskapazitäten gerade ausgelastet sind. Wenn die Wirtschaft, wie vom Sachverständigenrat geschätzt 2016 voraussichtlich um 1,6 Prozent wächst, übertrifft sie ihr Potentialwachstum von 1,2 Prozent – die Kapazitäten wären damit überausgelastet.

          Expansive deutsche Finanzpolitik

          Bundesbank und Sachverständigenrat unterscheiden sich hier merklich von der Europäischen Kommission. Sie rechnet die Flüchtlinge in viel größerem Maße dem Arbeitskräftepotential zu als der Sachverständigenrat und die Bundesbank, die zunächst von einer niedrigen Erwerbsbeteiligung der anerkannten Flüchtlinge ausgehen. Aus Sicht der Kommission ist dies bequem, denn so kann sie bei ihren Aufforderungen bleiben, Deutschland müsse eine expansivere Fiskalpolitik verfolgen. Im Klartext: mehr Geld ausgeben, um die Wirtschaft zu stimulieren.

          Die in diesem und im kommenden Jahr erzielbaren strukturellen Überschüsse des Gesamthaushalts von 0,3 Prozent und 0,1 Prozent täuschen darüber hinweg, dass die deutsche Finanzpolitik bei einer Überauslastung der Kapazitäten schon expansiv wirkt. Der öffentliche Konsum, die staatlichen Investitionen und die sozialen Transferzahlungen werden 2015 und 2016 Fiskalimpulse von 0,4 Prozent bis 0,5 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts setzen. Als Fiskalimpulse werden gezielte Maßnahmen der Finanzpolitik verstanden, die zu einer Veränderung des öffentlichen Finanzierungssaldos führen. Die daraus resultierende zusätzliche Wachstum beläuft sich angesichts eines niedrigen Multiplikatoreffekts aber nur auf 0,18 beziehungsweise 0,23 Prozentpunkte.

          Schwaben : Neues Wohnkonzept für Flüchtlinge

          Dies dürfte nicht zuletzt an der Art der Impulse liegen: Vor allem die Sozialleistungen zeigen nach oben. Und während 2014 die auch inflationsbedingt höheren Steuereinnahmen (kalte Progression) noch dazu beigetragen haben, den Haushalt auf der Einnahmenseite zu stabilisieren, findet die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte jetzt fast nur noch über die Zinsausgaben statt, die durch die extrem lockere Geldpolitik sinken. Durch die Anhebung der Kinderfreibeträge und des Grundfreibetrags 2015 sowie die teilweise Rückgabe der rein inflationsbedingten Steuermehreinnahmen 2016 kommt es insgesamt zu einer Einkommensteuerentlastung um 3,3 Milliarden Euro, die auf die Wirtschaft nun ebenfalls expansiv wirken dürfte. Jedenfalls verdeutlichen diese Zahlen, dass eine weitere fiskalpolitische Expansion aus konjunkturpolitischen Gründen nicht angezeigt ist.

          Flüchtlinge kosten 11 Milliarden nächstes Jahr

          Zugleich haben sich nämlich die Risiken für die deutsche Fiskalpolitik erhöht. Die Finanzierung der Flüchtlingsmigration bleibt ungewiss. Auf die öffentlichen Haushalte könnten dadurch höhere Belastungen zukommen als erwartet. Zudem ist die Lage in der Eurozone weiterhin fragil. Und leider stellen die fiskalpolitischen Impulse der Vergangenheit im Wesentlichen dauerhafte Mehrausgaben dar. Dies wird sich bei einem ungünstigeren konjunkturellen Verlauf rächen.

          Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten Berechnungen zu den haushaltspolitischen Folgen der Migration in verschiedenen Szenarien vorgelegt. In seinem günstigsten Szenario rechnet der Rat mit einer Million Flüchtlingen in diesem Jahr und nimmt an, dass diese Anzahl über zusätzlich 750.000 Personen im Jahr 2016 und 500.000 weitere Flüchtlinge im Jahr 2017 bis auf 200.000 Menschen bis 2020 merklich zurückgeht. Zur Berechnung der direkten Ausgaben für die Asylsuchenden unterstellt der Sachverständigenrat 800 Euro monatlich für Asylbewerberleistungen, 550 Euro monatlich als Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (Hartz IV) und 2000 Euro pauschal für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen jeweils für 75 Prozent der anerkannten Flüchtlinge sowie 500 Euro als einmalige Pauschale bei einer Ablehnung. Zugleich ist eine geringe Duldungsquote von fünf Prozent der abgelehnten Asylanträge bei einem Anstieg der Schutzquote auf 60 Prozent im Jahr 2016 vorausgesetzt. Hinzu kommen Annahmen zu den Partizipations- und Erwerbslosenquoten der Flüchtlinge sowie zur Dauer der Asylverfahren.

          Unter diesen Annahmen lassen sich die zuvor erwähnten Finanzierungsüberschüsse in den Jahren 2015 und 2016 tatsächlich erzielen. Die direkten Ausgaben für die Flüchtlinge würden sich auf rund 6 Milliarden Euro in diesem und 11 Milliarden Euro im nächsten Jahr belaufen. 2014 waren es hingegen erst 2 Milliarden Euro. Sogar die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt könnte sich dann halten lassen.

          Schwarze Null ist kein Selbstzweck

          Dieses Szenario könnte sich gleichwohl als zu optimistisch herausstellen. In weiteren Berechnungen unterstellt der Sachverständigenrat daher höhere Ausgaben je Flüchtling, beispielsweise 1000 Euro an Asylbewerberleistungen, 20 Prozent mehr Asylsuchende pro Jahr oder längere Asylverfahren. Die direkten Ausgaben für Flüchtlinge belaufen sich dann auf bis zu 14,3 Milliarden Euro im Jahr 2016. Darin sind noch keine Anpassungen der Duldungsquoten nach oben enthalten. Gegenwärtig ist die Rückführungspraxis der Länder relativ zurückhaltend und löst daher höhere Ausgaben aus als notwendig.

          Im ungünstigsten Fall lässt sich der ausgeglichene Bundeshaushalt kaum halten. Natürlich ist die schwarze Null kein Selbstzweck. Allerdings kann sich unter ungünstigen Bedingungen die dauerhafte Finanzierungslücke schnell an die durch die Schuldenbremse gesetzte Grenze von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegen. Konjunkturell bedingt höhere Schulden kann der Bund in der gegenwärtigen Wirtschaftslage nicht beanspruchen. Zudem ist die Flüchtlingsproblematik keine von der Regierung unbeeinflussbare Entwicklung, die mit Naturkatastrophen gleichgesetzt werden kann und dann eine höhere Staatsverschuldung erlaubt. Es liegt vielmehr im Ermessen der Bundesregierung, wie sie auf diese Herausforderung antwortet.

          Ausgabenkürzung scheint zwingend erforderlich

          Diese Überlegungen verdeutlichen zweierlei: Erstens sind die Mehrausgaben aufgrund des Flüchtlingszustroms in diesem und im kommenden Jahr verkraftbar, voraussichtlich ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen, vielmehr mit der versprochenen Steuersenkung zur Korrektur der steuerlichen Inflationsgewinne. Wir werden also nicht alle ärmer. Aber die Bäume wachsen auch nicht in den Himmel, wie die Szenarien des Sachverständigenrats zeigen. Die Flüchtlinge werden eine längere Phase der Qualifizierung benötigen und erst deutlich später als qualifizierte Zuwanderer Arbeit finden. Die Bundesregierung tut daher gut daran, mit weiteren Mehrausgaben in den Jahren nach 2016 zu rechnen. Zwar gibt es keine verlässlichen Projektionen, aber vieles deutet darauf hin, dass ausgeglichene Haushalte in Deutschland schwieriger zu schaffen sein werden. Zudem zeigen die verschiedenen Szenarien, dass Bund, Länder und Gemeinden einiges unternehmen müssen, um zu einer geringeren Anzahl an Flüchtlingen zu kommen, die Ausgaben aufgrund zu hoher Duldungsquoten zu reduzieren und die Asylverfahren zu beschleunigen. Die Verantwortlichen arbeiten zwar derzeit mit großer Intensität daran, dies zu erreichen. Da einfache Lösungen, wie die Einführung einer „Obergrenze“, nicht zur Verfügung stehen, bleibt der Erfolg dieser Anstrengungen jedoch ungewiss.

          Die Diskussion, wie Bund und Länder in Zeiten der Schuldenbremse und des Fiskalpakts auf die daraus folgenden finanzpolitischen Erfahrungen reagieren werden, hat im Grunde schon begonnen. In der Tat ist die Flüchtlingsmigration eine humanitäre Aufgabe, die zusätzliche Ausgaben eigentlich rechtfertigt. Dies bedeutet aber weder, dass nach 2016 höhere Schulden hingenommen werden sollten, noch, dass Steuererhöhungen zwingend erforderlich wären. Vielmehr zeigen die vergangenen Jahre, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen in die Vollen gegangen sind. Die Transferausgaben steigen vor allem wegen des Rentenpakets der Bundesregierung und weniger wegen der Migranten weiter an. Die Konsumausgaben des Staates haben sich erhöht, weil die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst üppig waren, der Personalabbau der öffentlichen Hand zum Stillstand gekommen ist und sich mittlerweile in einen Personalaufbau verwandelt hat und viele Programme in der Familienpolitik sowie der Forschungs- und Bildungspolitik hinzugetreten sind. Zudem legt die Bundesregierung in Zeiten der Hochkonjunktur ein Investitionspaket auf. Die Liste ließe sich problemlos verlängern. Manches davon mag für sich genommen richtig gewesen sein. In Zeiten neuer Herausforderungen darf aber keiner dieser Ausgabenbereiche sakrosankt sein. Ausgabenkürzungen müssen dann Vorrang vor Steuererhöhungen haben.

          Driftet Spanien in die fiskalpolitische Sorglosigkeit ab?

          Neben die finanzpolitischen Auswirkungen der Flüchtlingsmigration treten die europäischen Herausforderungen. Diese sind entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nicht geringer geworden. Die Mitgliedstaaten der Eurowährungsunion haben ihre Bemühungen, die Staatsfinanzen zu sanieren, nahezu eingestellt. Die Fiskalpolitik ist in Europa neutral und nicht mehr restriktiv. Dies gilt schon längere Zeit für Italien und Frankreich. In diesem Jahr kommt Griechenland hinzu, das sich weiterhin als sehr zäh in der Umsetzung der vereinbarten Anpassungsprogramme zeigt. Hinzutreten wird Portugal, dessen neue Regierung ein Ende der Konsolidierung angekündigt hat.

          Wie dies mit den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Einklang zu bringen ist, bleibt ein Rätsel, das die Europäische Kommission wohl wieder mit Nachlässigkeit auflöst. Nach den Wahlen könnte Spanien, das zurzeit noch zu den Mitgliedstaaten gehört, die ihre Haushaltsdefizite reduzieren, ebenfalls ins Lager der haushaltspolitischen Verantwortungslosigkeit abdriften. Die Bundesregierung wird dagegen wenig unternehmen können. Der Schlüssel für den Konsolidierungserfolg liegt vielmehr bei der Kommission, die sich bislang aber nicht als ehrgeizig erwiesen hat, wenn es um die Durchsetzung der europäischen Fiskalregeln geht. Eine Konsolidierung des französischen Haushalts ist jedenfalls in weite Ferne gerückt.

          Untergang der Eurozone ist unwahrscheinlich

          Welche Risiken erwachsen daraus der deutschen Haushaltspolitik? Mit großem Engagement wurde in den vergangenen Jahren über die Haftungsrisiken diskutiert, die Deutschland mit seinem Engagement in der Euro-Krise eingeht. Gemäß dem Haftungspegel des Ifo-Instituts dürfte der deutsche Fiskus mit mehr als 500 Milliarden Euro exponiert sein. Wenngleich das Ifo-Institut darauf hinweist, dass es sich nicht um tatsächlich zu erwartende Verluste handelt, bereitet dieses Haftungspotential vielen Bürgern große Sorgen.

          Betrachtet man die Lage genauer, so kommt dieses Haftungspotential wohl nur im ungünstigen Fall des Zusammenbruchs der Währungsunion zum Tragen. In diesem Fall ist die Verkürzung auf haushaltspolitische Risiken wohl noch optimistisch. Nach allem, was die Europäische Zentralbank und die Mitgliedstaaten bisher unternommen haben, dürfte der Zusammenbruch der Eurozone aber unwahrscheinlich sein. Vielmehr lässt sich feststellen, dass die Euro-Rettung kaum Auswirkungen auf den deutschen Bundeshaushalt hatte. Bislang zahlen die Programmländer plus Spanien die ihnen gewährten Kredite mit den vereinbarten Zinsen an die europäischen Rettungsschirme fristgerecht zurück. Als Belastungen schlagen sich lediglich die Kapitalausstattung des dauerhaften Rettungsfonds ESM und die Umschuldung Griechenlands vom November 2012 nieder.

          Wirtschaftswachstum kann in Griechenland stabile Verhältnisse schaffen

          Im Zuge der Verabschiedung des dritten Hilfspakets für Griechenland wurde immer wieder eine weitere Umschuldung der von den europäischen Partnern gewährten Kredite ins Spiel gebracht. Dies würde zu weiteren Belastungen des Bundeshaushalts führen. Allerdings kann der Bundesregierung nur abgeraten werden, auf solche Forderungen einzugehen. Die Umschuldung der Forderungen öffentlicher Gläubiger im November 2012 war schon generös und verschaffte Griechenland sehr günstige Zinskonditionen sowie erheblich verlängerte Laufzeiten.

          Nach Berechnungen des Sachverständigenrates wird die griechische Staatsverschuldung trotz eines weiteren kurzfristigen Anstiegs zumindest stabilisiert werden können oder sogar zurückgehen, wenn ein reales Wirtschaftswachstum von 1,75 Prozent erreicht wird und die Primärüberschüsse (Überschüsse ohne Berücksichtigung des Zinsdienstes) bei mindestens 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Je höher das Wirtschaftswachstum, umso eher lassen sich tragfähige öffentliche Finanzen in Griechenland erreichen. Dann dürfen die Primärüberschüsse niedriger ausfallen. Allerdings führt eine lockere Fiskalpolitik nicht zu mehr Wachstum. Vielmehr kommt es auf die Strukturreformen in den Produkt- und Arbeitsmärkten an. Einen Schuldenschnitt braucht Griechenland nicht.

          Griechenland lenkt von den wirklichen Problemen ab

          Die Besessenheit, mit der sich die deutsche Debatte um Griechenland gedreht hat, verschleiert die wahren finanzpolitischen Risiken des Bundes. Sie liegen im Inland in Gestalt der Länder und Gemeinden. Schon in den Koalitionsverhandlungen der Bundesregierung war deutlich geworden, mit welcher Macht die Länder auf zusätzliches Geld des Bundes drangen. Nicht zuletzt die Diskussion um eine vermeintliche Investitionsschwäche, die durch mehr staatliche Investitionen behoben werden sollte, war Ausdruck dieser Politik. Letztlich sind es die finanzpolitischen Schieflagen zwischen bestimmten Ländern und ihren Kommunen, die dort zu einer Vernachlässigung der Infrastruktur geführt haben. Lösen ließe sich dies nur über mehr Eigenverantwortung der Länder und der Gemeinden, etwa indem sie Zuschlagsrechte auf die Lohn- und Einkommensteuer erhalten.

          Der Bund hat in dieser Legislaturperiode in enormem Umfang finanzpolitische Verantwortung für die Länder und Gemeinden gezeigt, indem er Aufgaben übernommen und so zu ihrer Entlastung beigetragen hat. Dazu gehören die Übernahme der Kosten für Bafög-Leistungen der Studenten, die Übernahme der laufenden Nettoausgaben für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, eine stärkere Beteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und Entlastungen bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Hinzu kommen der Ausbau der Kindertagesbetreuung, ein kommunaler Investitionsfonds und Entlastungen im Zuge der Flüchtlingskrise, etwa im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes. Insgesamt belaufen sich diese Entlastungen und Programme auf rund 50 Milliarden Euro in den Jahren 2015 bis 2020. Neben diesen dauerhaften strukturellen Mehrausgaben erhöht der Bund seine Investitionsausgaben in den Jahren 2017 und 2018 um mehr als eine Milliarde Euro.

          Gierige Länder und Kommunen

          Im Unterschied zu den europäischen Haftungssummen handelt es sich hier um tatsächliche Mehrausgaben des Bundes. Dieses Geld steht ihm für andere Zwecke nicht zur Verfügung. Bei den sich dynamisch entwickelnden Sozialausgaben handelt es sich um erhebliche Haushaltsrisiken des Bundes. Damit aber nicht genug. Im Zuge der Verhandlungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat der Bund ein Volumen von 8,5 Milliarden Euro zugesagt, wenn die Länder sich auf eine sinnvolle Reform des Finanzausgleichssystems einigen. Der Vorschlag der Länder sieht nun eine Forderung gegenüber dem Bund in Höhe von rund 10 Milliarden Euro vor. Diese Beträge können im Zeitablauf sogar steigen und bergen ebenfalls ein enormes haushaltspolitisches Risiko für den Bund. Die Reform, welche die Länder im Gegenzug anbieten, ist jedoch kein Durchbruch. Von mehr Eigenverantwortung der Länder ist weit und breit nichts zu sehen. Sollten sich bei ihnen in der Zukunft aufgrund finanzpolitischen Fehlverhaltens abermals finanzielle Engpässe einstellen, werden sie wieder versuchen, sich beim Bund schadlos zu halten.

          Das größte finanzpolitische Risiko für den Bund stellen weder die Flüchtlingskrise noch die Probleme der Europäischen Währungsunion dar. Das größte Haushaltsrisiko des Bundes sind die gierigen Länder und Gemeinden. Die Chance einer Reform, welche die finanzpolitischen Schieflagen im deutschen Bundesstaat beseitigt, droht ungenutzt zu bleiben, wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Drängen der Länder auf noch mehr Geld nachgibt.

          Die Autoren

          Lars P. Feld ist eine eher leise, aber einflussreiche wirtschaftspolitische Stimme im Land. Auf der F.A.Z.-Ökonomen-Rangliste stand der liberale Professor für Wirtschafts- und Ordnungspolitik an der Universität Freiburg vor zwei Jahren ganz oben. Gerade hat die Regierung seinen Platz unter den „Wirtschaftsweisen“ im Sachverständigenrat bis 2021 verlängert. Feld wird ihn nutzen, um vor allem die Finanzpolitik auf allen staatlichen Ebenen weiter sehr kritisch zu begleiten.

          Désirée I. Christofzik arbeitet mit Feld als Volkswirtin im wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt an der University of Exeter war sie Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft der Universität Siegen. Derzeit promoviert Christofzik in Siegen im Rahmen eines interuniversitären Doktorandenprogramms mehrerer deutscher Universitäten.

          Uwe Scheuering ist seit April 2014 Referent für öffentliche Finanzen im wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrates. Er hat in Würzburg Wirtschaftsmathematik studiert mit den Schwerpunkten Finanzwissenschaft und Ökonometrie. In diesen Tagen schließt Scheuering seine Promotion an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg ab. Sein Thema sind die Steuerwirkungen auf unternehmerische Entscheidungen. hig.

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