Große Koalition : Gegenwind für Gabriel
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Sigmar Gabriel Bild: Reuters
Die schwächelnde Konjunktur in Deutschland wirft eine interessante Frage auf: Was passiert, wenn Wirtschaftsminister Gabriel Dinge tun muss, die seinen Interessen als SPD-Chef zuwiderlaufen?
Neulich, so wird es erzählt in Berlin, sei er mal wieder sehr deutlich geworden: „Ihr kapiert es einfach nicht“, soll SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Linken in seiner Partei angepflaumt haben, die an der schwarzen Null, dem Lieblingsprojekt von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, herumkrittelten. Dabei hatten sich diejenigen in der SPD, die es noch nie so hatten mit Haushaltsausgleich und Sparsamkeit, schon gefreut: Führende Wirtschaftsinstitute hatten in ihrem Herbstgutachten der deutschen Wirtschaft einen Schwächeanfall attestiert: Nur noch 1,3 Prozent Wachstum in diesem und 1,2 Prozent im kommenden Jahr – im Frühjahr waren die Ökonomen noch von 1,8 und 2 Prozent ausgegangen.
Elektrisierend für die SPD-Linke war dabei die zweite Botschaft der Wissenschaftler: dass diese den für 2015 angestrebten Haushaltsausgleich unter den nun tristeren Konjunkturumständen für ein bloßes Prestigeobjekt der Regierung halten – und keineswegs für ökonomisch geboten. Aus den vorsichtigen Sätzen der Gutachter über kleine Spielräumen im Haushalt, etwa zur Abmilderung der kalten Progression oder zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten, blieben bei den entsprechend strukturierten Sozialdemokraten freilich nur „Spielraum“ und „Investitionen“ hängen, und beides führte zum reflexartigen Ruf nach mehr Staatsausgaben, im Namen des Wachstums.
Bemerkenswerter politischer Instinkt
Während der SPD-Linke Ralf Stegner also die schwarze Null zu einem im Prinzip überflüssigen CDU-Projekt erklärte und CDU-Generalsekretär Peter Tauber daraufhin Stegner zur roten Null, erkannte Gabriel sofort die Brisanz dieses schwarz-roten Scharmützels und versuchte, den Disput postwendend zu beenden. Denn eines kann man dem Politikprofi Gabriel keinesfalls vorwerfen: es nicht zu kapieren.
Im Gegenteil. Sein politischer Instinkt ist außerordentlich, sein rhetorisches Talent unumstritten. Gelegentlich aber stolpert er über sich selbst. Über sein Temperament, seine Hitzköpfigkeit, seine Sturheit. Im großen Stil passiert ist ihm das allerdings schon länger nicht mehr. Jedenfalls nicht, seit er Wirtschaftsminister und Vizekanzler ist und der Union einen Koalitionsvertrag abgerungen hat, der sich liest wie die Erfüllung eines vorweihnachtlichen SPD-Wunschzettels. Sein Deal mit Brüssel, der zum Entzücken der Industrie deren Strompreisrabatte im Großen und Ganzen rettete, gab ihm weiteren Auftrieb. Auch wenn er das Problem der steigenden Stromkosten nach wie vor nicht gelöst hat und gerade dabei ist, sich in den nun anstehenden energiepolitischen Projekten ordentlich zu verheddern.
Koalitionsfrieden bewahren
Doch jenseits solcher mit Fallstricken ausgestatteter Sachthemen – zu denen auch das Freihandelsabkommen mit Amerika gehört, die Rüstungsexportpolitik oder die Digitale Agenda – kommt mit den schlechteren Wachstumszahlen auf Gabriel ein viel fundamentalerer Konflikt zu: Was geschieht, wenn der Wirtschaftsminister Dinge tun muss, die den Interessen des SPD-Chefs zuwider laufen?
Denn nicht nur linke Sozialdemokraten haben Spontanassoziationen, wenn sie auf die Konjunkturaussichten blicken. Auch der Wirtschaftsflügel der Union traut sich wieder aus der Deckung – nur eben mit völlig anderen Forderungen. Zum Beispiel der, weitere Belastungen aus dem Koalitionsvertrag zu verschieben. Stichwort Frauenquote. Oder Werkverträge. Genau wie Gabriel hat auch die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel den Nörglern in den eigenen Reihen, die am Koalitionsvertrag zu rütteln wagten, eine rasche Abfuhr erteilt. Sie und Gabriel wissen, was sie aneinander haben und wie viel Ärger es macht, wenn der Koalitionssegen erst mal schief hängt. Dennoch stört die Forderung, nun sei erstens die Wirtschaft dran und zweites Schluss mit der Rentner- und Geringverdienerbeglückung, die Gemütlichkeit genauso empfindlich wie der Ruf nach einem Ende der Sparsamkeit.
Gabriel muss Farbe bekennen
Bislang zieht sich Gabriel aus der Affäre, indem er tut, als gäbe es gar keinen Zwiespalt. Noch kann er ungestört behaupten, für mehr wachstumsfördernde Investitionen und gleichzeitig für einen ausgeglichenen Haushalt zu sein. Für den Mindestlohn und genauso entschieden für eine wirtschaftsfreundliche Politik. Doch in nicht allzu ferner Zukunft wird er Farbe bekennen müssen, genau wie die gesamte Bundesregierung. Union und SPD werden erklären müssen, wie das denn nun gemeint war, als im Koalitionsausschuss von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und von besseren Rahmenbedingungen für Investoren die Rede war.
Für Gabriel stellt sich damit mehr denn je die Frage, was er hauptberuflich macht: die SPD führen oder das Wirtschaftsministerium? Man muss keine tiefenpsychologischen Betrachtungen anstellen, um zu erkennen, dass Gabriel kaum etwas näher ist als seine Partei, die er inzwischen länger führt als die meisten seiner Vorgänger. Gleichzeitig aber ist er für seine weitere Karriere darauf angewiesen, dass diese Koalition nicht zur gemeinschaftlichen Konjunkturtalfahrt ansetzt. Wie also wird er sich schlagen, wenn die Zeiten des Verteilens von Wohltaten vorbei sind? Der Gegenwind wird jetzt schon heftiger.