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Flüchtlingskrise : Ifo-Chef Sinn notfalls für nationale Grenzkontrollen

Sinn lobte einerseits die Hilfsbereitschaft vieler Deutscher, die ankommenden Asylbewerbern mit Deutschkursen und Behördengängen helfen. Andererseits gebe es hässliche Bilder von abgebrannten Asylbewerberheimen und anderen Sabotageakten. Die deutsche Gesellschaft sei inzwischen gespalten, genauso wie Europa gespalten sei.

Gute Noten vergab er an Spanien, das seine Grenze gegenüber dem Zustrom afrikanischer Migranten rigoros absichere und Ankömmlinge in Booten nach Afrika zurückschicke. Dadurch werden Schlepperfahrten unattraktiv. Durch seinen harten Kurs habe Spanien außerdem die Zahl der Toten drastisch reduziert: Es seien nur noch 100 Menschen im Meer vor Spanien umgekommen. Vor Italien dagegen, das die auf See aufgegriffenen Menschen nach Lampedusa fahre, sei die Zahl der Toten im vergangenen Jahr auf 2900 gestiegen.

In der Gesamtschau der Migrationskrise sei eine Vielzahl politischer, ökonomischer und rechtlicher Fragen zu betrachten. merkte Sinn an: Wirtschaftlich sei klar, dass Deutschland angesichts der starken Alterung und absehbaren Schrumpfung der Gesellschaft auf Zuwanderung – möglichst in den Arbeitsmarkt – angewiesen sei. Bis zum Jahr 2035 werde es in Deutschland 7,3 Millionen mehr Menschen im Rentenalter geben und 8,4 Millionen Erwerbsfähige weniger. Die derzeit ankommenden Immigranten hätten grundsätzlich aus wirtschaftlicher Sicht „das richtige Alter“ von Anfang 20 bis Mitte 30, stellte Sinn fest.

Im vergangenen Jahr habe es eine Nettozuwanderung von schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen gegeben, davon etwas mehr als eine Million Flüchtlinge. Die Entscheidung Ende August 2015, für Syrer die Einzelfallprüfung auszusetzen und sie pauschal nach der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen, habe den Zustrom ziemlich beschleunigt, noch bevor Kanzlerin Merkel wenige Tage später „ihren Willkommensgruß“ ausgesandt habe, sagte Sinn. Die Organisation „Pro Asyl“ habe die neue politische Haltung Deutschlands in den Flüchtlingslager in der Türkei und im Libanon und Jordanien verbreitet. Dies sei „das Startsignal für die verstärkte Migration“ gewesen.

Schlechte Schulbildung

Nur 0,7 Prozent der Anträge auf politisches Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes, die im vergangenen Jahr bearbeitet wurde, seien positiv beschieden worden; rund 48 Prozent der Asylbewerber durften nach der Genfer Konvention temporär bleiben. Die Gesamtschutzquote liege somit bei etwa der Hälfte. Aber auch die andere Hälfte, deren Anträge abgelehnt oder aus anderen Gründen beendet wurden, werde wohl überwiegend bleiben. „Wer drin ist, ist drin“, sagte Sinn. Es sei schwer, „sie wieder loszuwerden“. Viele würden ihre Papiere wegschmeißen und unter neuem Namen einen neuen Asylantrag stellen.

Es sei eine humanitäre Aufgabe, wirklich Verfolgte aufzunehmen, betonte Sinn mehrfach. Er wolle aber auch die von der Kanzlerin und Wirtschaftsverbänden geäußerten Zusatzargumente prüfen, wonach der Flüchtlingszustrom Deutschland überdies wirtschaftlich helfe. Dies bezweifelte Sinn mit einer Reihe von Argumenten, vor allem aber mit Blick auf die geringen Qualifikationen der Asylbewerber: Zwei Drittel der Syrer würden trotz Schulabschluss nur das Pisa-1-Niveau erreichen, laut Umfragen in türkischen Flüchtlingslagern sei es beinahe die Hälfte.

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