Humanitäre Hilfe : Vom Geld kommt kaum etwas an
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Notversorgung in Somalia Bild: AFP
Mit der Hungerkatastrophe in Somalia mehren sich auch die Spendenaufrufe großer Hilfsorganisationen. Doch ein Großteil der Gelder fließt in Verwaltung und Marketing - oder wird von den Konfliktparteien abgezweigt.
Kaum waren die ersten Meldungen über eine Lebensmittelkrise am Horn von Afrika um die Welt gegangen, von der angeblich bis zu zwölf Millionen Menschen bedroht sind, hagelte es Spendenaufrufe von Hilfsorganisationen. Darunter waren auch viele, die nur am Rande mit den Problemen besonders in Somalia befasst sind und mit der aktuellen Linderung der Lebensmittelknappheit aber auch gar nichts zu tun haben. Die Vereinten Nationen ließen verlauten, sie benötigten bis zu 1,6 Milliarden Dollar, um sich gegen die Krise zu stemmen. Auf welchen belastbaren Zahlen diese Hochrechnung allerdings beruht, war wie immer in solchen Situationen nicht in Erfahrung zu bringen. Doch das spielt keine Rolle. Alleine das Hinterfragen solcher Informationen lässt den Fragesteller angesichts von Bildern spindeldürrer Kinder als gottlosen Ketzer dastehen. Die niederländische Buchautorin Linda Polman, die fünf Jahre lang die Mechanismen der internationalen Hilfsorganisationen recherchierte, hat dafür den treffenden Begriff gefunden: „Die Mitleidsindustrie“.
Rund 370.000 Nichtregierungsorganisationen gibt es weltweit, und ein Großteil davon ist in irgendeiner Form in Hilfsprojekten engagiert. Wie viel Geld in dieser Industrie umgesetzt wird, entzieht sich in Ermangelung einer zentralen Koordinierung jeder Kenntnis. Die Zahlen schwanken je nach Quelle zwischen 100 und 150 Milliarden Dollar jährlich. Alleine in Deutschland liegt das Spendenaufkommen für Hilfsorganisationen, gemeinnützige Organisationen und kirchliche Organisationen nach Angaben des Deutschen Spendenrates bei rund 2,3 Milliarden Euro im Jahr und schnellt immer dann um bis zu 20 Prozent nach oben, wenn es irgendwo auf der Welt eine Katastrophe zu bekämpfen gilt. Das ist viel Geld, das entsprechende Begehrlichkeiten weckt.
Die Verwaltungskosten vor Ort werden als Projektkosten verbucht
Natürlich sind alle Hilfsorganisationen bemüht zu beweisen, wie viel ihres Spendenaufkommens tatsächlich in Hilfsprojekte fließt, weil diese Form der Transparenz sich direkt auf künftige Spenden auswirkt. Grob gesagt werden zwischen 10 und 15 Prozent jeder Spende für Verwaltungskosten verwendet, was wenig ist. Einige Hilfsorganisationen sind zudem so ehrlich ihre Marketingkosten für die Spendenaufrufe zu beziffern, und kommen dabei auf einen Anteil von 20 bis 25 Prozent. Rechnet man die beiden Höchstwerte zusammen, bedeutet dies, dass immer noch 60 Prozent jedes gespendeten Euro in ein Hilfsprojekt fließen. Das aber ist Augenwischerei, weil die Verwaltungskosten vor Ort als Projektkosten verbucht werden.
Die „Mitleidsindustrie“ ist längst zu einer Industrie geworden wie jede andere auch, in der es um Akquise geht und der Wettbewerb über Verdrängung läuft. Auf die gegenwärtige Lebensmittelkrise in Somalia übertragen sieht das so aus: Ein Generalunternehmen – entweder das Welternährungsprogramm (WFP) oder das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) – baut ein Flüchtlingslager und verpflichtet für dessen Bewirtschaftung andere Hilfsorganisationen als Subunternehmer. Diese buhlen um solche Aufträge, weil sie ihnen Medienpräsenz sichern, was wiederum Spenden generiert. Im größten Flüchtlingslager der Welt, dem Lager von Dadaab in Kenia, das vom UNHCR gemanagt wird, sind gegenwärtig mehr als 20 Hilfsorganisationen tätig, die wiederum nicht selten lokale Organisationen verpflichten, um die eigentliche Arbeit zu tun. Diese Praxis geht soweit, dass ein einziges Hilfsprojekt bis zu sieben Mal delegiert wird, wobei jedes Mal Gebühren einbehalten werden. Das führt im Extremfall dazu, dass von der ursprünglich vorgesehen Summe bestenfalls 10 bis 20 Prozent tatsächlich ankommen.