Gutachten zum Mindestlohn : Eine Ohrfeige für die Bundesregierung
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Verdienen oft weniger als der geplante Mindestlohn: Vor allem an Friseuren wird in der Debatte von beiden ideologischen Seiten gezerrt Bild: dpa
Der beim Kanzleramt angesiedelte Normenkontrollrat hat den Gesetzentwurf zum Mindestlohn geprüft. Das Urteil des Gremiums fällt nach F.A.Z.-Informationen vernichtend aus: Die Kosten und Folgen seien mangelhaft kalkuliert.
Wenige Tage nach dem Kabinettsbeschluss zur Einführung des geplanten gesetzlichen Mindestlohns hat die Bundesregierung eine schallende Ohrfeige für ihren Gesetzentwurf kassiert: Nach Auffassung des Nationalen Normenkontrollrats, der beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist und auftragsgemäß alle Gesetzesvorhaben prüft, hat die Regierung ausgerechnet bei diesem weitreichenden Projekt schlampig gearbeitet. Das zeigt die Stellungnahme des Normenkontrollrats zu dem am 2. April verabschiedeten Mindestlohn-Gesetzentwurf, die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt.

Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.
Der Normenkontrollrat, ein zehnköpfiges Expertengremium, war 2006 von der damaligen großen Koalition eingesetzt worden, um „für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ zu sorgen. Seine gutachtlichen Stellungnahmen sollen vor allem die möglichen Belastungen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung – den sogenannten Erfüllungsaufwand – bewerten. Sie werden Bundestag und Bundesrat als Entscheidungshilfe jeweils mit den Gesetzentwürfen zugestellt. Geleitet wird der Rat vom früheren Bahn-Vorstandsvorsitzenden Johannes Ludewig, zu den Mitgliedern zählt der frühere Leiter des Statistischen Bundesamts, Johann Hahlen.
In seiner sechsseitigen Stellungnahme zum Mindestlohn-Gesetzentwurf schreibt der Rat nun wörtlich: „Im Entwurf werden die wesentlichen Aufwände (die Erhöhung der Lohnsumme durch den Mindestlohn sowie der Aufwand auf Seiten der Zollverwaltung auf Grund der Prüfungen) nicht dargestellt.“ Zusammenfassend heißt es: „Mit Blick auf die Bedeutung des Vorhabens fehlt dem Gesetzgeber durch die lückenhafte Darstellung der Kostenfolgen und der Regelungsalternativen eine wichtige Entscheidungsgrundlage.“ Der Rat mache „im Rahmen seines Mandats grundsätzliche Bedenken geltend“, da den gesetzlichen Anforderungen zur Gesetzesfolgenabschätzung und Alternativenprüfung „nicht entsprochen wird“.
„Mit Unsicherheiten behaftet“
In der Sache weist das Expertengremium unter anderem darauf hin, dass der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde die Unternehmen nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Anfangsphase mit etwa 16 Milliarden Euro belasten dürfte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht hingegen nur auf Bürokratiekosten im engen Sinne ein: Diese entstünden durch den Mindestlohn „für die Wirtschaft nur in geringem Maße“, heißt es im Einleitungskapitel. Ansonsten verweist die Regierung darauf, dass die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes „mit Unsicherheiten behaftet“ seien, daher sei „keine genaue Quantifizierung“ möglich.
Ebenso moniert der Rat, dass die Regierung den Verwaltungsaufwand durch die geplanten Mindestlohn-Kontrollen nicht beziffert habe, sondern nur allgemein auf „höhere Personal- und Sachkosten“ bei der Zollverwaltung hinweist. Das zuständige Ressort – das Finanzministerium – sei aber verpflichtet, den damit einhergehenden Erfüllungsaufwand darzustellen. „Der Normenkontrollrat erwartet daher, dass das Ressort diesen Aufwand im Nachgang ermittelt und diesen in das parlamentarische Verfahren einbringt.“
Als „unvollständig“ stuft der Rat überdies die Darstellung möglicher Alternativen zum vorliegenden Mindestlohngesetz ein. So hätte die Bundesregierung zumindest erläutern müssen, warum das Anfangsniveau des Mindestlohns mit 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 gesetzlich festgelegt werden solle. „Eine relevante Alternative wäre zum Beispiel, einen (zunächst geringeren) Mindestlohn auf Vorschlag einer unabhängigen Kommission festzulegen“, heißt es in der Stellungnahme. Die Bundesregierung liefere aber keinen Hinweis darauf, warum sie diese mögliche Variante verworfen habe. Das widerspreche sowohl den gesetzlichen Regelungen als auch der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien.