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Lebensmittelqualität : „TTIP gehört in die Tonne“

Foodwatch-Chef Thilo Bode, 69, kämpft für bessere Lebensmittel. Gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada will er jetzt Verfassungsbeschwerde erheben. Bild: Andreas Pein

Foodwatch-Chef Thilo Bode im Gespräch über seine Klage gegen den Freihandel, die Macht der Konzerne und Beifall von der falschen Seite.

          5 Min.

          Herr Bode, gerade hat der deutsche Wirtschaftsminister das Freihandelsabkommen mit Amerika für gescheiterter erklärt. Sind Sie froh, dass Sie TTIP zu Fall gebracht haben?

          Ralph Bollmann
          Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Wir sollten uns nicht zu früh freuen. Jetzt will die Politik das Ceta-Abkommen mit Kanada durchpeitschen. Damit hat sie dann den Weg für TTIP, den Vertrag mit den Vereinigten Staaten, geebnet. Das ist die Strategie von Sigmar Gabriel: Er redet Ceta schön, weil er TTIP haben will. Deshalb macht er uns vor, dass das Abkommen mit Amerika gescheitert ist. Damit wir wegschauen.

          TTIP ist nicht tot?

          Auf keinen Fall. Die ersten Bemühungen gehen auf das Jahr 1990 zurück, die Befürworter haben also einen langen Atem. Es geht bei TTIP und Ceta um ein völlig neues Modell für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Mit klassischen Handelsverträgen hat das nichts mehr zu tun.

          Sie sind nicht gegen den Freihandel?

          Natürlich nicht. Im Gegenteil. Wir könnten solche Abkommen dazu benutzen, die Globalisierung wirklich zum Vorteil der Menschen zu gestalten, etwa im Umwelt- und Verbraucherschutz. Das geschieht aber nicht.

          Was schwebt Ihnen vor?

          Wir müssen die Macht der Konzerne beschränken. Die Verträge, die jetzt geplant sind, bewirken aber das Gegenteil. Das ist genau die Globalisierung, die wir nicht wollen.

          Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht sagt, der Spielraum des Gesetzgebers wird nicht eingeschränkt. Ist das gelogen?

          Das formale Recht, Gesetze zu beschließen, bleibt erhalten. Entscheidend ist: Kann man bestehendes Recht weiterentwickeln, ohne Sanktionen befürchten zu müssen – wenn der Vertragspartner nicht damit einverstanden ist? Das kann man bei Ceta nicht, es sei denn, alle EU-Mitgliedstaaten kündigen einstimmig den ganzen Vertrag. Das ist absurd.

          Das Abkommen mit Kanada berücksichtigt viele Einwände der TTIP-Gegner. Warum wollen Sie trotzdem dagegen klagen?

          Wir reichen Verfassungsbeschwerde ein, um vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen: Höhlt Ceta das Grundrecht der Bürger aus, durch Teilnahme an Wahlen die Politik zu bestimmen?

          Über den Investitionsschutz entscheiden nun keine privaten Schiedsgerichte mehr, sondern staatliche bestellte Richter. Ist das keine Verbesserung?

          Die staatlich bestellten Richter sind vom Verfahren her eine Verbesserung, aber im Hinblick auf den Rechtsschutz ändert sich praktisch nichts. Nach wie vor kann der Investor Schadensersatz für entgangene Gewinne fordern – ein Privileg, das im deutschen Rechtssystem nicht vorgesehen ist. Mit hohen Schadensersatzforderungen können Regierungen erpresst werden, wichtige Gesetze zum Allgemeinwohl nicht zu beschließen. Und nach wie vor haben Investoren nur Rechte und keine Pflichten.

          Sie sagen, die Demokratie wird faktisch abgeschafft. Ist das nicht etwas starker Tobak?

          Was ich behaupte, ist: Die Bürger haben immer weniger zu sagen. Der Spielraum des Gesetzgebers wird unverhältnismäßig eingeschränkt.

          Dazu schließt man völkerrechtliche Verträge: Staaten sollen sich binden, damit sie berechenbar werden.

          Stimmt. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß. Außerdem richtet sich unsere Klage dagegen, dass das Abkommen bereits „vorläufig“ angewendet wird, auch wenn es von den Mitgliedsländern noch nicht ratifiziert ist. Dieser Demokratie-Skandal kann viele Jahre andauern. Das Handelsabkommen mit den Karibischen Staaten wird schon seit 8 Jahren vorläufig angewendet, ohne Ratifizierung.

          Diese Unsicherheit haben Sie selbst verursacht: Die NGO’s wollten, dass alle nationalen Parlamente dem Vertrag zustimmen müssen. Sonst könnte alles viel schneller gehen.

          Das waren die Mitgliedstaaten selbst. Sie haben der EU-Kommission das Mandat erteilt, einen Vertrag auszuhandeln, der von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss.

          Wenn es einen Punkt gibt, der ganz klar in die EU-Kompetenz fällt, dann ist es doch die Handelspolitik.

          Richtig. Aber wenn diese Kompetenz demokratische Grundrechte einschränkt, dann müssen die Betroffenen darüber abstimmen können – also die Bürger und ihre Parlamente. Die Handelspolitik hebelt zum Beispiel das europäische Vorsorgeprinzip aus, demzufolge Produkte in Europa nur auf den Markt dürfen, wenn ihre Ungefährlichkeit nachgewiesen ist.

          Die Europäer haben Angst vor Chemie, die Amerikaner sorgen sich vor Krankheitserregern. Das bekommt man nicht zusammen, meinen Sie?

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