
G 20 : Gipfeltrickserei
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Er will, dass mehr gegen die Steuerflucht internationaler Konzerne getan wird: Jean-Claude Junker Bild: dpa
Auf dem G-20-Gipfel in Brisbane ist ein schärferes Vorgehen gegen Steuerflucht angeblich an japanischen Bedenken gescheitert. Ausgerechnet der frühere Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker gab sich darüber empört.
Ausgerechnet Jean-Claude Juncker. Der Präsident der EU-Kommission vergießt in Brisbane Krokodilstränen, dass die Industrieländer nicht mehr tun im Kampf gegen die Steuerflucht internationaler Konzerne. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass das von ihm jahrzehntelang regierte Luxemburg besonders großzügig war, als es um Absprachen der Finanzbehörden mit Unternehmen ging. Man weiß nicht, was überwiegt: der Widerwille angesichts dieser dreisten politischen Gefechtskehrtwende oder die Anerkennung für das entschlossene Wendemanöver eines in die Ecke gedrängten Politikveteranen?
Japan soll sich auf dem Gipfel der zwanzig wichtigsten Wirtschaftsnationen dagegen ausgesprochen haben, dass man sich schneller gegenseitig informiert, wenn es verbindliche Zusagen zugunsten einzelner Unternehmen gibt. Welch hübsche Pointe: Luxemburg hat in Junckers Regierungszeit die Zusammenarbeit der Finanzbehörden ausgebremst, um auf Kosten der Nachbarn den eigenen Wohlstand zu mehren. Nun blockiert offenbar Tokio – und der Luxemburger gibt sich empört.
Doch ändert die jüngste Entwicklung nichts daran, dass sich die Welt in kürzester Zeit für private Steuerzahler und kaum Steuern zahlende Konzerne radikal verändert. Nachdem die Amerikaner die Bastion Schweiz geknackt hatten, pressten sie zahlreichen Ländern die Zusage ab, regelmäßig Informationen über das Finanzvermögen ihrer Staatsbürger zu liefern. Damit kam die Sache so richtig ins Rollen. Vor wenigen Wochen haben sich mehr als fünfzig Länder in Berlin verpflichtet, automatisch solche Informationen über die Grenze an andere Finanzbehörden zu schicken. Weitere Staaten wollen folgen. Zentrale Finanzplätze sind dabei. Auch viele Länder, die lange in dem Ruf standen, eine Steueroase zu sein. Die Plätze, an denen sich Bankgeschäfte vor dem heimischen Fiskus verbergen lassen, werden somit bald rar.
Bankgeheimnis an vielen Plätzen der Welt abgeschafft
Für hartnäckige Steuerhinterzieher wird das Risiko aufzufliegen immer größer. Das Bankgeheimnis ist faktisch an vielen Plätzen der Welt abgeschafft, wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jüngst triumphierend feststellte. Das war wohl unvermeidlich, um sicherzustellen, dass der Steuerstaat seine Ansprüche auch auf Einkünfte im Ausland durchsetzen kann und alle Bürger mit gleichem Leistungsvermögen auch gleich belastet werden. Aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Dazu hat der Weg der Akte des verurteilten Steuerhinterziehers Uli Hoeneß beigetragen, deren Details in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Wer kann garantieren, dass in anderen Fällen künftig das, was nur das Finanzamt etwas angeht, nicht im Internet ausgebreitet wird? Doch solche Sorgen haben die Staats- und Regierungschefs der G20 offensichtlich nicht. In Brisbane gab es Lob für diesen Informationsaustausch.
Als Nächstes sind die internationalen Konzerne dran, denen vorgehalten wird, alles zu tun, damit sie möglichst keine Steuern zahlen müssen. Doch der Vorwurf fällt auf die Staatengemeinschaft zurück. Was die Unternehmen machen, ist zumeist legal. Wenn sie das, was erlaubt ist, im Sinne ihrer Aktionäre nutzen, kann man ihnen das nicht vorwerfen. Für solche Steuerschlupflöcher sind die Regierungen verantwortlich. Die Vereinigten Staaten drücken bei ihren Unternehmen beide Augen zu, wenn sie im Ausland erwirtschaftete Gewinne in Steueroasen parken, um die hohe Abgabenlast im eigenen Land auszugleichen. Und kleine Länder wie Luxemburg haben ein Geschäftsmodell daraus gemacht, mit Steuerlücken Unternehmen anzulocken.
Die Staats- und Regierungschefs begrüßten in Australien gleichwohl die Fortschritte im Kampf gegen „aggressive“ Steuergestalter. Offenbar ist es leichter, sich auf Steuerregeln als auf eine Wachstumsstrategie zu einigen. Das eine Lager mit Amerikas Präsident Barack Obama an der Spitze will mit kreditfinanzierten Ausgabenprogrammen für zusätzliche Nachfrage sorgen, um kurzfristig der Wirtschaft einen Schub zu verpassen; das andere Lager mit Angela Merkel an vorderster Front baut auf solide Staatsfinanzen und Strukturreformen, um auf mittlere Sicht die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Beide Positionen prägten die Diskussion und ziehen sich durch die Schlussdokumente.
Überspielt wird dieser grundlegende Konflikt durch die angekündigten Investitionen, die kurzfristig zusätzliche Nachfrage und langfristig bessere Wachstumsbedingungen versprechen. Dass das europäische Paket noch recht luftig wirkt und das deutsche ausgesprochen überschaubar ist, ist zweitrangig. Es zählt die Geste.
Das gilt auch für das in Brisbane ins Schaufenster gestellte Aktionsprogramm. Tausend Maßnahmen für zusätzliches Wachstum, das für fünf Jahre auf die Nachkommastelle beziffert wird. Das sorgt für eine beeindruckende Summe von 2 Billionen Dollar, die im Jahr 2018 zusätzlich erwirtschaftet werden sollen. Davon sollte sich niemand täuschen lassen. Wer weiß, dass Berlin die Energiewende als positives Element gemeldet hat, aber die Rente mit 63 unter den Tisch fallen ließ, der ahnt, was von dem groß verkündeten Wachstumsgewinn zu halten ist. Nicht nur mit Steuern wird getrickst.