F.A.Z.-Gespräch : Stegner: Glaube nicht an höhere Steuern
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Ralf Stegner: „Die Ausgangslage könnte schlechter sein“ Bild: Lucas Wahl / F.A.Z.
Ralf Stegner will einen substantiellen Politikwechsel oder keine große Koalition. Im F.A.Z.-Gespräch erklärt der SPD-Linke, warum er nicht glaubt, dass es unter Schwarz-Rot zu Steuererhöhungen kommen wird - auch wenn Andrea Nahles diese noch so laut fordert.
Herr Stegner, nächste Woche trifft sich die SPD zum Parteitag in Leipzig. Was haben Sie aus den Koalitionsverhandlungen vorzuweisen?
Mich interessieren nicht die Wasserstände, sondern das Endergebnis. Und da ist für mich klar: Entweder wir erreichen einen substantiellen Politikwechsel, oder es wird eine Zustimmung der SPD und ihrer Mitglieder nicht geben. Solche Ergebnisse haben wir bis jetzt noch nicht.
Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
„Gute Arbeit“ ist Kernthema der SPD, da brauchen wir deutliche Fortschritte – Mindestlohn, Leiharbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen. Wir müssen verhindern, dass die großen Lebensrisiken Alterssicherung, Pflege, Gesundheit weiter privatisiert werden. Wir müssen in die Zukunft investieren – von Bildung über Kommunen bis Infrastruktur.
Bei den meisten der Themen geht es ums Geldausgeben. Schon jetzt summieren sich die Kosten auf 50 Milliarden Euro. Wollen Sie am Ende doch die Steuern erhöhen?
Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Union hier nachgeben will – ähnlich wie wir beim Mindestlohn. Aber sie könnte auf das falsche Betreuungsgeld verzichten, das würde Geld frei machen...
... gerade drei Milliarden Euro.
Immerhin. Mindestlohn und ordentliches Lohnniveau führen dazu, dass der Staat Milliarden an Steuersubventionen für Dumpinglöhne spart. Wenn wir mit dem Soli Altschulden tilgen, müssen Länder und Kommunen weniger Zinsen zahlen. Wenn wir in bessere Bildung für alle investieren, fallen in Zukunft geringere Sozialausgaben an. Bei Steuern geht es uns zwar auch um Gerechtigkeit – aber primär um Einnahmen.
Der Plan, dass der Bund alte Schulden tilgt, ist vom Tisch?
Ich habe die Schuldenbremse immer skeptisch gesehen, weil Parlamente, nicht Gerichte über öffentliche Haushalte entscheiden sollten. Richtig ist: Die Schuldenbremse gilt, und wir können unseren Kindern und Enkeln nicht nur Schulden hinterlassen. Das bedeutet aber auch, sinnvolle Investitionen zu tätigen. Wir brauchen keine Buchhalterlogik, sondern volkswirtschaftliche Vernunft.
Von Berlin aus bin ich gerade mit dem ICE nach Kiel gefahren. Das sah alles ziemlich proper aus. Steht unsere Infrastruktur wirklich vor dem Untergang?
Vor dem Untergang natürlich nicht. Aber nehmen Sie nur den Nord-Ostsee-Kanal, die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt: Das ist ein Industriemuseum, weil jahrzehntelang nichts investiert worden ist.
Dann ist die Maut doch eine prima Idee?
Nein – denn wer sagt denn, dass wir nach dem CSU-Konzept am Ende überhaupt mehr Geld haben? Wenn wir die Kfz-Steuer senken, aber nicht jeder Autofahrer kauft sich die Vignette, und es kommen noch die Kosten für die Bürokratie hinzu: Dann ist das bisschen Geld, das angeblich nur die Ausländer bezahlen sollen, schnell wieder weg.
Auch eine bessere Bildung ist nicht nur eine Frage des Geldes.
Stimmt. Aber insgesamt für mehr Aufstiegsmöglichkeiten zu sorgen, das geht nicht ohne Geld. Wir brauchen mehr Ganztagsschulen und mehr Sozialarbeiter in den Klassen. Die Statistiker sagen uns: Wir benötigen 20 Milliarden Euro zusätzlich, um bei den Bildungsausgaben den Durchschnitt der Industrieländer zu erreichen. Die Inder, Brasilianer oder Chinesen schlafen ja nicht. In Deutschland ist sozialer Aufstieg durch Bildung nach wie vor extrem schwierig. Unser Ziel sind nicht möglichst hohe Sozialtransfers, sondern bessere Lebenschancen – und Anstrengung soll ordentlich bezahlt werden.
Das ist eine neue Tonlage bei der SPD. Wollen Sie weg von der grün angehauchten Akademikerpartei, zurück zu den Arbeitern?
Es ist nicht entscheidend, dass wir es uns als Partei leichtmachen. Wir müssen konkret etwas für die tun, die es schwer haben und die das zu Recht von uns erwarten. Wir müssen unsere Brot-und-Butter-Themen in den Vordergrund stellen, die soziale Gerechtigkeit und echte Gleichstellung für Millionen von Menschen betreffen: gute Arbeit, die ordentlich bezahlt wird, die nicht krank macht und die Wertschöpfung erzeugt. Wichtig ist aber auch: Wir müssen die Energiewende vorantreiben, das ist eine riesige Chance gerade für uns im Norden. Ich bin nicht dafür, dass wir den Grünen dieses Thema überlassen.