Möglicher EU-Austritt : Auch Irland könnte die EU verlassen
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Nicht an den Standort Irland gebunden: Kerrygold ist schon lang ein in vielen Ländern tätiges Unternehmen. Bild: Ornua Deutschland GmbH
Der Chef des irischen Unternehmensverbands warnt vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU. Das Königreich könnte dadurch für Unternehmen attraktiver werden - und Irland seine Mitgliedschaft überdenken.
Angesichts des bevorstehenden Volksentscheids über Großbritanniens Zukunft in der Europäischen Union (EU) wachsen im benachbarten Irland die Sorgen: „Wenn sich Großbritannien für den Austritt entscheiden sollte, wird es in Irland definitiv eine Debatte darüber geben, ob wir nicht dasselbe tun sollten“, sagt Danny McCoy, der Chef des führenden irischen Unternehmensverbands Ibec, in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Ein irischer EU-Austritt als Reaktion auf einen „Brexit“ der Briten sei nicht auszuschließen: „Ich kann mir Umstände vorstellen, unter denen das zwingend wäre“, sagte McCoy. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen bleibe den Iren womöglich keine andere Wahl.
Die überraschende Wortmeldung ist die bislang deutlichste Warnung aus Irland vor den Konsequenzen eines möglichen britischen EU-Austritts. Die Regierung in Dublin vermied am Donnerstag eine klare Festlegung: Auf die Frage, ob Irlands Zukunft in der EU durch einen Brexit infrage gestellt würde, sagte ein Sprecher, die weitere EU-Mitgliedschaft Großbritanniens sei für das Land sehr wichtig. „Ein Austritt hätte ganz klar erhebliche Auswirkungen auf Irland“, sagte er. Die Regierung wolle „auf alle Szenarien, die eintreten könnten, vorbereitet sein“. Anders als die Briten sind die Iren auch Mitglied in der Europäischen Währungsunion.
Gehen Großkonzerne nach Großbritannien?
Großbritanniens Premierminister David Cameron hat angekündigt, bis spätestens Ende 2017 einen Volksentscheid über die Zukunft seines Landes in der EU abzuhalten. Der britische Notenbankchef Mark Carney mahnte am Donnerstag, das Referendum „angemessen zügig“ durchzuführen, um für klare Verhältnisse zu sorgen. Viele Ökonomen sagen voraus, dass die Briten durch den Brexit hohe wirtschaftliche Einbußen erleiden würden, weil das Land den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren könnte.
Doch der irische Wirtschaftslobbyist McCoy sieht das ganz anders: Er befürchtet im Gegenteil, dass irische Großkonzerne nach einem möglichen EU-Austritt der Briten nach Großbritannien abwandern würden. „Am liebsten wäre es uns, die Briten blieben in der EU. Aber Großbritannien könnte nach einem Brexit ein sehr attraktiver Wirtschaftsstandort sein“, sagte der Ibec-Chef. Großbritannien würde womöglich mit niedrigen Steuern und einer weiter deregulierten Wirtschaft zu einem Magneten für ausländische Unternehmen. „Die Auswirkungen auf Irland als Investitionsstandort wären deshalb potentiell gewaltig“, erwartet er.
Gewachsene Europa-Skepsis der Bevölkerung
Die Londoner Denkfabrik Open Europe hat kürzlich ebenfalls gewarnt, ein Brexit könnte das kleine Irland wegen seiner engen Handelsbeziehungen zu Großbritannien wirtschaftlich härter treffen als das Vereinigte Königreich selbst. Ähnlich wie der Ibec-Chef gibt auch Open Europe zu bedenken, Großbritannien könnte nach einem EU-Austritt für ausländische Investoren attraktiver werden – allerdings nur, wenn die Briten konsequent auf Deregulierung und Liberalisierung setzen sollten.
McCoy glaubt, dass in der irischen Wirtschaft nach einem Brexit die eigene EU-Mitgliedschaft in Frage gestellt werden könnte. „Wir wären dann in einer ganz neuen Situation. Ich bin mir nicht so sicher, ob die EU-Mitgliedschaft für multinationale Konzerne aus Irland eine sehr große Rolle spielen würde“, sagt er. Irische Großkonzerne wie die Nahrungsmittelhersteller Kerry Group und Greencore, der Baustoffriese CRH und der Verpackungshersteller Smurfit Kappa sind weit über die europäischen Grenzen hinaus aktiv.
2014 gingen 37 Prozent der irischen Exporte in die Vereinigten Staaten und nach Großbritannien. Auf die EU ohne Großbritannien entfielen 40 Prozent der Ausfuhren. Auch in der irischen Bevölkerung ist aus Sicht McCoys die Europa-Skepsis gewachsen: 2010 nahm Irland auf Druck der Europäischen Zentralbank einen hohen Notkredit auf. Viele Iren sind davon überzeugt, dass davon vor allem ausländische Gläubiger profitierten, während die enormen Kosten des Rettungspakets vom irischen Steuerzahler getragen werden.