Ehemaliger EU-Kommissar : Günter Verheugen bekommt „Kontaktverbot“
- -Aktualisiert am
Günter Verheugen Bild: AP
Der deutsche EU-Kommissar Verheugen schied vor einem Jahr in Brüssel aus. Danach gründete er eine Beratungsfirma. Nun stellt die EU strenge Bedingungen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Ihm wird bis auf weiteres jeglichen direkten Kontakt mit früheren Mitarbeitern verboten.
Der Stein des Brüsseler Anstoßes befindet sich in Potsdam. Es geht um die dortige Beratungsgesellschaft „The European Experience Company“. Potentiellen Kunden verheißt sie nicht zuletzt „kreative Lösungen sowie die richtige Strategie für Ihren Erfolg im Umgang mit europäischen Institutionen“. Einer der beiden Gründer, der 66 Jahre alte Sozialdemokrat und frühere EU-Kommissar Günter Verheugen, dürfte sich fortan schwerer mit diesem Anspruch tun.
Dies gilt zumindest dann, wenn es um Anliegen gegenüber dem Ressort Unternehmen und Industrie geht, das er von Ende 2004 bis Anfang 2010 als Kommissar leitete. Am Mittwoch hat die Kommission nach Anhörung des mit der Prüfung von Interessenkonflikten betrauten EU-Ethikausschusses beschlossen, Verheugen bis auf weiteres jeglichen direkten Kontakt mit früheren Mitarbeitern der zuständigen Generaldirektion der Kommission zu verbieten. Außerdem darf er keine Aufträge von Kunden übernehmen, die Nutznießer der Dienststelle, zum Beispiel als Empfänger von EU-Fördermitteln waren.
Der EU-Vertrag und der derzeit überarbeitete Verhaltenskodex verpflichten ehemalige Kommissare, bei der Annahme von Tätigkeiten nicht nur „ehrenhaft und zurückhaltend“ zu sein, sondern sie auch rechtzeitig zu melden. Im Fall der Unternehmensgründung hatte dies der umtriebige Verheugen versäumt. Genehmigt hatte die Kommission dagegen schon seine beratende Tätigkeiten für den Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, die Royal Bank of Scotland, das PR-Unternehmen Fleishman-Hillard und eine türkische Wirtschaftsvereinigung.
Der für Personalfragen zuständige EU-Kommissar Maroš Sefcovic schien sichtlich erleichtert zu sein, nach dem monatelangen Hickhack das Thema Verheugen endlich zu den Akten legen zu können. Die Entscheidung zeige, dass der Kodex, der auf der Welt seinesgleichen suche, wirke. Verheugen seien „sehr strenge Bedingungen“ gestellt worden. Sie dürften den Aktionsradius des nach Firmenangaben ehrenamtlich tätigen Verheugen wenig beeinträchtigen - zumindest wenn es nach Petra Erler geht, die von 2006 bis 2010 Leiterin seines persönlichen Stabes (Kabinett) in der Kommission war und mit ihm gemeinsam im vergangenen April die Potsdamer Firma gegründet hat. Der Nachrichtenagentur AFP sagte die Geschäftsführerin: „Ich habe kein Problem mit der Entscheidung, weil ich mich sowieso daran halte. Und Herr Verheugen hält sich auch daran.“
Verheugen selbst hatte schon im Herbst dem Informationsdienst „Euractiv“ erklärt, das Leistungsangebot der Firma genüge vollkommen dem EU-Kodex. „Jede Form von Lobbyismus gegenüber den Brüsseler Institutionen ist danach ausgeschlossen“, wurde Verheugen zitiert. Dennoch bohrte die Kommission in Potsdam nach und beanstandete - zum zweiten Mal - die Tätigkeit eines ehemaligen Kommissars. Zuvor hatte der frühere irische Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy nach Bedenken der Kommission auf einen Posten bei der britischen Investmentbank NBNK verzichtet.
Für Verheugen, der sich nach der Bonner Wende im Herbst 1982 - wie andere namhafte FDP-Politiker - der SPD angeschlossen hatte, waren auch die Brüsseler Jahre wechselvoll. Als Erweiterungskommissar trieb er seit 1999 geschickt, obgleich gelegentlich argumentativ schlingernd, den EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder voran. Als er 2004 das Ressort Unternehmen übernahm, zeigte sich Verheugen glücklich. Ungemütlich wurde es, als 2006 Fotos aus Litauen auftauchten, die ihn händchenhaltend mit der kurz zuvor um zwei Dienstgrade beförderten und zu seiner Kabinettchefin ernannten Petra Erler zeigten. Obwohl Verheugen den Vorwurf der Günstlingswirtschaft stets bestritten hat und bis 2010 Kommissar blieb, galt er in der EU-Behörde als beschädigt - so sehr er sich auch als Vorkämpfer gegen bürokratische Auswüchse innerhalb und außerhalb der Kommission zu profilieren versuchte.
Eher unfreiwillig dürfte Verheugen hingegen jetzt zur Verschärfung der EU-Verhaltensregeln beigetragen haben. So soll das „Kontaktverbot“ ehemaliger Kommissare zu ihren früheren Dienststellen explizit festgeschrieben werden. Außerdem soll die Frist, binnen derer Kommissare nach ihrem Ausscheiden aus der Behörde über eine angenommene Tätigkeit informieren sollen, von 12 auf 18 Monate verlängert werden. Michael Stabenow