Digitale Demoskopie : Mit Facebook zum gläsernen Wähler?
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Was geht im Gehirn des Wählers vor sich? Nicht so leicht festzustellen. Bild: Radiological Society of North America
Trump hat überraschend gewonnen, den Brexit hat kaum einer vorhergesagt. Was passiert nun wieder bei der Frankreich-Wahl? Umfragen liegen oft daneben. Können Facebook und Google das besser?
Kommen in Frankreich am Ende doch die beiden Eurogegner in die Stichwahl? Die Unsicherheit ist groß. Denn das Vertrauen in die Demoskopie ist zuletzt deutlich geschwunden. In den vergangenen Monaten sind die Wahlumfragen in mehreren westlichen Demokratien dadurch aufgefallen, dass sich die vor der Wahl veröffentlichten Zahlen deutlich von den Wahlergebnissen unterschieden: Der Wahlsieg von Donald Trump galt noch in den Tagen vor dem Urnengang als unwahrscheinlich. Dass die Briten die EU verlassen würden, sahen die Demoskopen noch bei Schließung der Wahllokale nicht. Und sogar im kleinen Saarland unterschätzten die Demoskopen in den letzten Umfragen den Stimmenanteil der CDU.
Es ist bemerkenswert, dass Umfragen so danebenliegen – in einer Zeit, in der Digitalisierung und Internet die Menschen angeblich besonders transparent macht. „Wir haben ein Modell entwickelt, das die Persönlichkeit jedes Erwachsenen in den Vereinigten Staaten berechnen kann“, behauptet die britische Wahlanalyse-Firma Cambridge Analytica, die auch für Donald Trump gearbeitet hat. Dank Daten, die sie vor allem auf Facebook gesammelt habe, könne sie praktisch jeden einzelnen amerikanischen Wähler in seiner politischen Ansicht verorten und feststellen, mit welcher Botschaft Kandidaten ihn am ehesten überzeugen. Der Wähler soll also gleichzeitig vollkommen transparent und weitgehend unberechenbar sein – das passt nicht zusammen.
Die Probleme der Demoskopen sind so bekannt wie vielfältig. „Prognosequalität hat sehr viel mit Erfahrung zu tun“, sagt Renate Köcher, die Chefin des Instituts für Demoskopie in Allensbach. „Mit dem Brexit-Referendum hatten die Institute überhaupt keine Erfahrung.“ Auch im Saarland habe es wenig Umfragen gegeben. „Was sich dann aus dem Schwenk Richtung Rot-Rot-Grün ergab, hat noch mal Bewegung in die Parteipräferenzen gebracht.“ Und: „So eine Verschiebung zwischen den großen Parteien hat man selten. Diese Volatilität abzubilden ist mit zwei Umfragen kaum zu leisten.“ Die Demoskopie sieht sie nicht in der Krise, aber: „Es gibt wachsende Schwierigkeiten für Bestandsaufnahmen vor Wahlen, wenn die Einstellungen volatiler werden.“
Das Internet bringt weniger als gehofft
Schnelle Daten – das könnte auch in Frankreich zum Thema werden, nachdem ein Terrorist drei Tage vor der Wahl auf den Champs-Elysées einen Polizisten erschossen hat. Was Geschwindigkeit angeht, reüssiert das Internet. Eigentlich. Köcher würde trotzdem derzeit nicht mit Google oder Facebook arbeiten. Man müsse das beobachten, aber: „Bei Google und Co. muss man mit den Daten arbeiten, die automatisch abfallen, statt das Fragenprogramm genau auf die Ziele der Untersuchung zuzuschneiden.“
Nicht nur bei traditionellen Demoskopen ist die Skepsis groß. Am Karlsruher Institut für Technologie sagt Informationswirtschafts-Professor Christof Weinhardt: „Was man auf Facebook sehen kann, das hat eine große Schlagseite.“ Google-Daten sind nicht unbedingt besser. Amerikanische Ökonomen probierten einst, anhand der Google-Suchdaten die Arbeitslosigkeit abzuschätzen – und prognostizierten vor einem Jahr einen spektakulären Anstieg der Arbeitslosenzahl, der nie geschah. Google selbst wollte mit Hilfe seiner Daten die Ausbreitung von Grippewellen vorhersagen. Der Versuch ist inzwischen beendet. Analysen ergaben: Die Google-Daten halfen höchstens, wenn man sie mit anderen Daten kombinierte.
Digitalisierung hat die Welt komplizierter gemacht
Während die digitale Vermessung der Gesellschaft offenbar noch vor großen Schwierigkeiten steht, ist eines allerdings schon sicher: Digitalisierung hat die Gesellschaft komplizierter gemacht. Informationen verbreiten sich schneller. Mehr Leute sprechen mit mehr anderen.
Facebook selbst lobt sich dafür, dass es mehr Wählern eine Stimme gibt – so dass sie sich mit gleichgesinnten zusammentun können, auch wenn vielleicht keiner in ihrer Umgebung war. Das mag auch der AfD geholfen haben, größer zu werden. „Leute, die sich vorher isoliert gefühlt haben, können jetzt ihre Geschichten und Meinungen miteinander teilen“, sagt Sean Evins, der sich bei Facebook um politische Institutionen und öffentliche Einrichtungen kümmert. „Minderheiten bekommen ein Megafon.“ So wird die Lage erst mal komplizierter. „Es gibt viel mehr Faktoren zu berücksichtigen als früher.“
Das sagt auch Yvonne Hofstetter, Digital-Publizistin und eine der großen Mahnerinnen vor den Schattenseiten der digitalen Welt. „Durch das Internet und die sozialen Medien sind mehr Beziehungen zwischen den Menschen entstanden. Die Gesellschaft ist komplexer geworden.“ Prinzipiell sei es möglich, Menschen über Google und Facebook zu beeinflussen. „Kann man mittelbar deren Algorithmik für die Beeinflussung nutzen? Ja“, sagt sie. Doch Indizien dafür, dass Versuche tatsächlich erfolgreich waren, kennt auch sie nicht.
Vor einigen Wochen sagten Forscher, sie könnten anhand der Bilder von Google Streetview die Autos in einem Viertel analysieren und dann feststellen, was die meisten Menschen wählen. Die Veröffentlichung wurde von Datenschützern kritisch aufgenommen. Demoskopen brauchen dafür kein Google.
In einer ersten Fassung des Textes hatten wir den Aufgabenbereich des Facebook-Vertreters Sean Evins falsch umschrieben: mit „Wahlen und Parteien“ statt „politische Institutionen und öffentliche Einrichtungen“. Das bitten wir zu entschuldigen.