Die wichtigsten Argumente : Mindestlohn im Faktencheck
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Was bringt ein gesetzlicher und flächendeckender Mindestlohn? Bild: dpa
Ein Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze. Das sagt die Theorie. Aber gilt das heute noch? Wir prüfen die wichtigsten Einwände.
Deutschland steht vor einem historischen Schritt: der Einführung eines Mindestlohns für alle. Geht es dann gerechter und sozialer zu in unserer Arbeitswelt, wie die Anhänger des Mindestlohns behaupten? Oder verlieren Menschen, die bislang schon von einem sehr niedrigen Lohn leben mussten, jetzt auch noch ihren Arbeitsplatz, weil ihr Arbeitgeber die höheren Löhne nicht zahlen will oder kann?
Zumindest in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern ist die Wirkung von Mindestlöhnen ganz einfach: Sie wird anhand des sogenannten neoklassischen Modells erklärt. Darin gibt es zwei Linien: Die eine steht für das Angebot von Arbeit durch die Arbeitnehmer, die andere für die Nachfrage nach Arbeitern durch die Arbeitgeber. An einer Stelle schneiden sich die Linien: dort sind Angebot und Nachfrage gleich groß und dieser Lohn (er wird „Gleichgewichtslohn“ genannt) kommt heraus, wenn der Markt funktioniert und der Staat sich raushält.
Ein Mindestlohn, der über dem Gleichgewichtslohn liegt, führt in diesem Modell zu Arbeitslosigkeit. Ein Mindestlohn unterhalb des Gleichgewichtslohns hingegen hat keine Auswirkungen auf die Beschäftigung – bringt den Arbeitnehmern aber auch nicht mehr Geld.
Passt das Modell der neoklassischen Ökonomen zu unserer Wirklichkeit? Nein, sagen die Befürworter eines Mindestlohns. Prüfen wir, wie gewichtig diese Argumente sind, die eine schädliche Wirkung des Mindestlohns bestreiten.
1. Die Arbeitgeber diktieren die Löhne.
Das Lehrbuchmodell setzt voraus, dass viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer untereinander konkurrieren – und der Lohn sich im Wettbewerb bildet. Das muss nicht stimmen. Befürworter des Mindestlohns argumentieren, dass Arbeitgeber oft Marktmacht haben. Wenn es im Extremfall in einem Ort nur einen großen Arbeitgeber, aber ein Heer von Arbeitslosen gibt, ist der Arbeitgeber in der besseren Position. Er kann den Lohn drücken – seinen Leuten weniger zahlen, als sie ihm einbringen, und den Gewinn einstreichen. Wird in dem Fall eine Mindestlohnregelung eingeführt, die den Lohn in Richtung Normalfall erhöht, kostet das keine Stellen.
Das Problem dabei: Selbst wenn es solche Fälle gibt, ist es schwer, die Höhe des Mindestlohns genau so festzusetzen, dass er diese ausgleichende Wirkung hat.
2. Die Arbeitnehmer haben keine andere Wahl.
Eine weitere Voraussetzung für das Lehrbuchmodell ist, dass das Angebot von Arbeit sich verhält wie das Angebot einer Ware. Ob das stimmt, darüber gibt es in der Ökonomie seit langem Streit. Schon Walter Eucken (1891–1950) hielt eine „Anomalie auf dem Arbeitsmarkt“ für möglich. Was ist damit gemeint? Anders als bei Waren muss das Angebot von Arbeit nicht kontinuierlich mit dem Preis steigen und fallen. Wenn Leute sehr wenig verdienen und der Lohn sinkt, arbeiten sie unter Umständen sogar mehr, um über die Runden zu kommen: Sie sind nämlich auf das Einkommen angewiesen.
Wie im neoklassischen Modell würden sich Arbeitnehmer nur verhalten, wenn ihr Lebensunterhalt durch Vermögen gesichert wäre. Dann könnten sie frei je nach Lohn überlegen, wie viel Arbeit sie anbieten, und ihr Angebot notfalls auf null senken, wenn der Lohn zu mickrig ist. Aber so ist die Welt nicht.
Auch sonst gibt es beim Arbeitsangebot Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. Eine Verkäuferin bei Penny weiß vielleicht gar nicht, was sie bei Lidl im Nachbarort verdienen könnte. Oder sie sagt sich: „Die zahlen vielleicht mehr, aber dafür wäre die Fahrt zum Kindergarten weiter.“ Zudem ist die Suche eines neuen Arbeitsplatzes mit Kosten verbunden. Das alles spricht dafür, dass viele Arbeitnehmer die Löhne in ihrer Firma einfach hinnehmen, statt zu wechseln, bis sie das Maximum beim Lohn (den „Gleichgewichtslohn“ ) erreicht haben. Das würde bedeuten, es gibt Spielraum für einen Mindestlohn ohne Arbeitsplatzverluste – aber keiner weiß, wie viel.