Rezessionsängste durch Brexit : „Zuerst überreagieren, später nachdenken“
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Tief besorgt: Ökonom und Großbritannien-Kenner Clemens Fuest Bild: dpa
Die deutschen Ökonomen sind erschreckt über das Brexit-Votum. Bedauern mischt sich mit Rezessionsängsten. Denn, so sagt es ein Banker treffend, „die Märkte werden zuerst überreagieren und später nachdenken“.
Die deutschen Ökonomen haben mit Bestürzung und Rezessionsangst auf das Ergebnis des britischen Referendums zum Austritt aus der Europäischen Union reagiert. Der neue Ifo-Präsident Clemens Fuest, der Großbritannien-Kenner ist und einst in Oxford lehrte, bedauerte die Entscheidung der Briten. Sie sei „eine Niederlage der Vernunft", sagte er am Freitag.
„Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen“, sagte Fuest weiter. Dazu gehöre es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibe. „Es ist wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt."
Das Ifo-Institut hat schon Szenarien dazu berechnet, wie stark sich der Brexit auf das Bruttoinlandsprodukt einzelner Länder auswirken könnte. Die größten Wirkungen sehen die Forscher naheliegenderweise für Großbritannien - der BIP-Rückgang könnte dort demnach bis zu 2,2 Prozent betragen. Die zweitstärksten Auswirkungen sieht das Institut für Irland, danach folgt Belgien (siehe Grafik).
Wie groß der Schock ist zeigt auch die Reaktion der Ratingagentur Standard & Poor´s (S&P). Sie wird voraussichtlich ihre Bonitätsnote für Großbritannien senken. Damit zitierte die Financial Times einen Analysten von S&P. Das Pfund ist am Freitagmorgen gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit drei Jahrzehnten gefallen. Auch an den asiatischen Aktienmärkten fallen die Kurse. Der Goldpreis steigt dagegen stark. Die Fluchtwelle der Anleger in „sichere Häfen“ rollt.
So bleibt die wohl dringendste Frage am Freitagmorgen: Wie kann die Panik an den Finanzmärkten eingedämmt werden? „Die Regierung in London, die Bank von England und die Europäische Zentralbank werden unter unmittelbarem und immensem Druck stehen, die Märkte zu beruhigen“, sagte Bill O’Neill, Leiter der britischen Vermögensverwaltung der Großbank UBS. „Aber die Märkte werden nicht warten. Sie werden zuerst überreagieren und später nachdenken.“
Die Bank von England jedenfalls stellte zusätzliche Mittel zur Geldversorgung der Finanzbranche des Landes bereit. Die Zentralbank stehe bereit, das Funktionieren der Märkte zu garantieren, sagte der Notenbankchef, Mark Carney, am Freitag in London. Großbritannien stehe eine Zeit der Unsicherheit bevor. Zur Geldversorgung der Finanzwirtschaft könnten zusätzliche 250 Milliarden Pfund abgerufen werden.
Nach dem Brexit-Votum geriet zudem der Schweizer Franken unter Aufwertungsdruck. Daraufhin griff die Schweizer Notenbank an den Finanzmärkten ein, um den Kurs zu stabilisieren. „Die Schweizerische Nationalbank hat am Devisenmarkt eingegriffen, um die Situation zu stabilisieren und wird am Markt aktiv bleiben“, teilte die Notenbank in einer Stellungnahme per E-Mail mit. Ein zu starker Franken ist den Schweizern schon lange ein Dorn im Auge.