Das Grüne Projekt Agrarwende : „Wahlkämpfe sind nie Zeiten der Rationalität“
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Habeck fordert Umdenken in Landwirtschaft Bild: dpa
Nach der Energiewende fordern die Grünen die Agrarwende. Ausgerechnet der Grüne Robert Habeck, Popstar der Partei, kritisiert die Moralprediger in den eigenen Reihen.
Herr Habeck, nach dem Atomausstieg möchte Ihre Partei nun den Ausstieg aus der Massentierhaltung, es soll Obergrenzen für Tierbestände geben, richtig?
Ertappt. Ich kenn die Beschlusslage meiner Partei da nicht genau. Die Frage von Massentierhaltung heißt übersetzt: Wie viele Tiere passen auf wie viel Fläche? Da geht es aber vor allem um Gewässerschutz. Insgesamt gelangt zu viel Nitrat über Gülle und Dünger in Boden und Gewässer. Man kann zwar auch unterstellen, dass es ab einer gewissen Tierdichte nicht mehr möglich ist, das Tier individuell zu betreuen. Aber man kann auch wenige Tiere elend halten.
Sind Sie als Agrarminister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein also für Obergrenzen?
Aus Tierschutzgründen sind Obergrenzen nicht zwingend, aber um die Gewässer zu schützen, sollte man Bestandsobergrenzen ins Auge fassen, oder die Gülleausbringung muss sehr viel präziser und effektiver und entsprechend kontrolliert werden. Wir müssen dazu kommen, die Ställe für die Tiere zu bauen und nicht die Tiere den Ställen anzupassen. Agrarwende heißt aber nicht: zurück zur vermeintlichen Idylle von früher. Ein Teil der Lösung liegt im technischen Fortschritt. Durch ihn lassen sich die Debatten über Landwirtschaft zum Teil auflösen. Mehr Tiergesundheit mit weniger Medikamenten, weniger Dünger- und Pestizideinsatz auf den Feldern durch spezielle Ausbringungsformen oder Messungen des Eiweißbedarfs der Pflanzen.
Was haben Sie gegen die Massentierhaltung von heute?
Viele Probleme der modernen Landwirtschaft werden durch die Haltungsformen ausgelöst. Die Enge der Haltung in der Puten- und Hähnchenmast erfordert höhere Antibiotika-Mengen. Es gibt Schweine, die haben mehr Ferkel als Zitzen. Das hat der liebe Gott so nicht gewollt. Das kann man keinem mehr erklären, der außerhalb der Produktionskette steht. Oder dieses Bild: Da läuft, getrennt durch Gitterstäbe, der Eber vor Sauen hin und her, damit sie rauschen (paarungsbereit werden, Anm. d. Red.), die dann aber künstlich besamt werden . . .
...der arme Eber...
...ja, der darf nicht ran, aber ein erfülltes Liebesleben haben die Sauen auch nicht. Das eigentliche Problem ist aber, dass sie dann 28 Tage lang in einem Stahlkorsett stehen und keinen halben Meter vor oder zurück laufen können, weil der Fötenverlust sonst 15 Prozent höher ist. Und am nächsten Tag besuchen Sie eine Wurstfabrik und sehen das: Am Fließband werden die Packungen, wo ein kleines Paprikastückchen auf der Wurst liegt anstatt in ihr drin zu stecken, aussortiert und weggeworfen. Da werden dann gefühlt 25 Prozent aussortiert. Weil die Leute angeblich nur Wurst kaufen wollen, aus der kein Stückchen Paprika rausgefallen ist. Das ist doch schlicht krank!
Sind die Lebensmittel zu billig?
Ja, weil sie die externen Kosten nicht abbilden. Die zahlen wir über die Steuer. Aber man muss ehrlich sein: Billige Lebensmittel bedeuten mehr Geld für anderes. Die Ökonomie ist da gnadenlos. Je preiswerter Lebensmittel, desto höher der Wohlstand einer Gesellschaft. Wir haben deshalb mehr Geld übrig für Handys, Fernseher, Schuhe und Schnickschnack. Allerdings auch für Bildung, Kulturleistungen, Gesundheit oder Freizeit, mehr Zeit für die Familie. Und es gibt auch viele, die auf jeden Euro schauen müssen.
Aber es gehört doch zum guten grünen Ton, sich über zu billige Nahrungsmittel zu echauffieren!
Zu Recht. Denn ökonomisch mag es gut sein, wenn Lebensmittel billig sind, ethisch ist es das nicht. Werte wie Tierschutz, Artenreichtum, reines Grundwasser - die sind im Preis für Nahrung nicht mit drin. Aber sie definieren den Wohlstand einer Gesellschaft genauso. Der Bauernverband und die CDU sollten kapieren, dass dieses neue Produktbewusstsein in Wahrheit eine Chance für die Landwirtschaft ist, nicht weiter in Abhängigkeit einer Logik des Billig und Mehr zu rutschen. Das hat mit Vorschreiben nichts zu tun. Im Kern ist Politik die Übersetzung von ethischen Normen in Praxis.
Die Ethik der Grünen für alle?
Ethische Normen ändern sich in einer lebendigen Gesellschaft permanent. Das ist der Sinn von Demokratie.
Viele Bürger mögen grüne Bevormundung nicht - siehe Bundestagswahlkampf, Veggie Day.
Die Veggie-Day-Debatte war eine Lebensstildebatte, die auf das Verhalten des Einzelnen zielte. Das war ihr Problem: dass wir über moralische Erziehung geredet haben statt über politische Rahmenstellungen. Wir Grünen müssen aber das Politische, das Strukturelle herausarbeiten und ändern, statt mit dem Finger zu zeigen. Man muss die großen Hebel sehen und nicht die Schuld des Einzelnen.
Kürzlich auf dem Bauerntag wurden Sie hämisch ausgepfiffen. Können Sie das verstehen?
Na ja, ich bin da nicht zimperlich. Es ist ja auch so, dass unsere Politik deren Lebensentwürfe und deren Einkommen berührt. Aber nach der Veranstaltung haben mir andererseits viele Leute zugerufen: Danke, das war cool.
Die Grünen sind sehr polemisch gewesen in Landeswahlkämpfen. Auf den Plakaten sah man apokalyptisch gefärbte Himmel, die Genmais mit Giftsymbolen zeigten, in Niedersachsen wurde die Fleischtheke zur Sondermülldeponie, im Bundeswahlkampf der Tierhalter zum Drogendealer. Trug das zur Aufklärung bei?
Ich möchte diplomatisch antworten: Wahlkämpfe sind nie Zeiten der Rationalität und differenzierter Debatte. Das gilt für die Grünen wie für die CDU, auch für Bauerntage übrigens.
Warum sind Grüne Moralisierer?
Sind wir nicht immer, aber wir haben eine Affinität dazu. Wir haben diesen moralischen Überschuss in uns, weil wir aus einer Bürgerbewegung entstammen. Wir müssen aber die Kurve kriegen. Wir müssen unsere Argumente für die Mehrheiten formen, nicht mehr für die Straßenkämpfer. Inhaltlich sind wir heute auf vielen Feldern eine Volkspartei.
Wird der konventionelle Bauer zum politischen Feindbild?
Ich fürchte. Das ist gefährlich, weil es, wie gesagt, nichts mit individueller Schuld zu tun hat, sondern mit einem politischen Prozess, den man gestalten muss und kann. Die Radikalisierung von Funktionären, da schließe ich mich und meine Partei mit ein, ist kein Lösungsbeitrag.
Sind die Grünen Bauernschreck oder Bauernpartei, wie Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter sinngemäß sagt?
Wir versuchen, der Wachse-oder-weiche-Logik etwas entgegenzusetzen. In Deutschland halbiert sich die Zahl der Landwirte alle 23 Jahre. Nicht wegen Grünen oder irgendwem, schlicht wegen der Ökonomie. Übrigens wird gesagt, dass wir in Schleswig-Holstein 30 Prozent höhere Investitionen haben, mehr als je zuvor in die Landwirtschaft. Und das unter einem Grünen. Schleswig-Holsteins Voraussetzungen sind hervorragend: hochproduktive Böden, gut ausgebildete Bauern, viele familiengeführte Betriebe. Aber viele Betriebe arbeiten in einer großen Abhängigkeit von externen Faktoren. Die liefern ihre Schweine zu einem Preis, den sie nicht beeinflussen können, am Tag X in verabredeten Mengen. Ist das die Freiheit des Bauernstandes? Dazu kommt, dass die gesellschaftliche Frage, ob sich die Tierhaltung verändern muss, faktisch bereits entschieden ist. Ich glaube, die Härte der Debatte seitens der Bauern ist in Wahrheit die Suche nach Orientierung und der Wunsch, mitgenommen zu werden. Die Bauern müssen sich fragen, ob diejenigen, die für sie sprechen, wirklich ihre Freunde sind. Und ob die Firmen, die Anzeigen bei „Top Agrar“ schalten, ihre Freunde sind – die großen Industrien, Dünge- und Saatgutunternehmen. Ich stelle das in Frage. Die Landwirtschaft braucht ein neues Narrativ. Die Erfolgsgeschichte hieß lange: Wir machen die Leute satt. Das allein trägt heute nicht mehr.
Die Tierhalter, meinen Sie, würden gern anders wirtschaften?
Ich kann nicht in sie hinein schauen. Aber ich kann das System analysieren. Die Monopole im Einzelhandel, die Margen von großen Schlachthöfen, die immer größere Konzentration auf einzelne Produktionssparten, Das ganze System macht es schwer, einen anderen Weg zu gehen, weniger intensiv zu produzieren. Man muss sehr stark oder mutig sein, um auszuscheren.
Sie klingen ein wenig wie früher die Marxisten: Der Bourgeois(-Landwirt) ist entfremdet – aber merkt es nicht, und wir müssen ihm aus seiner Existenz heraushelfen? Kann das hinkommen?
Mir wurde schon vorgeworfen, ich sei wie der Gründervater der DDR. Muss man auch erstmal verdauen. Und ja, das ist genau die Grenze der grünen Debatte á la:Wir sind der Überbau, und ich weiß, wie es geht. Aber ich sehe es viel bodenständiger. Ich beschreibe das marktwirtschaftliche System. Und ich will, dass wir die Debatte systemisch führen, nicht moralisierend. Warum bin ich Minister? Um Debatten, die in der Gesellschaft da sind, aufzugreifen, den jeweiligen Gruppen zuzumuten und Lösungen zu finden. Kein Besserwisser, sondern...
...nur ein Übersetzer?
Ja, so würde ich gern verstanden werden. Ich habe vier Jungs, und zwei ernähren sich vegan, beim dritten kippt es gerade. Einfach so, die haben noch nie ein grünes Wahlprogramm gelesen. Das ist heute cool, so wie früher zerrissene Jeans oder rauchen. Sie wurden nicht indoktriniert. Das kommt einfach so. Das ist ein Lebensgefühl.
Hat das Lebensgefühl von uns „Gemüsefaschisten“, wie Christian Ulmen mal im Scherz sagte, nicht etwas Spießiges?
Alles, was moralinsauer behandelt wird, hat spießige Züge.
Freiheit des Bauernstandes - können Sie mit diesem alten Bild, das Sie gerade verwendet haben, etwas anfangen?
Klar. Die Menschen stehen mir ja nahe. Ich bin mit ihnen groß geworden: Das Plattdeutsche, der grobe Handschlag, das Auf-die-Schulter-Klopfen, das ist ja auch ein Teil von mir. Mit einigen, die mich jetzt auspfeifen, habe ich früher Eishockey auf dem Dorfteich gespielt.
Früher waren Sie Schriftsteller. War der Gang in die Politik ein Freiheitsverlust?
Überraschenderweise nein. Ich fühle mich frei in meinem Amt, trotz eines terminlich engen Korsetts. Ohne Spruch: Dieses Amt bedeutet mir was. Ich habe da einen Republikanismus und ein Staatsbürgertum in mir entdeckt, das ich noch nicht kannte.