Cross-Border-Leasing : Kaum jemand las das Kleingedruckte
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Viele deutsche Kanalnetze gehören amerikanischen Investoren Bild: DIETER RÜCHEL
Ob Kläranlage oder Müllverbrennung: In den neunziger Jahren mieteten deutsche Kommunen ihre eigene Infrastruktur von amerikanischen Investoren, das Cross-Border-Leasing wurde zum Sesam-öffne-dich ihrer Finanzen. Nun droht es im Zuge der Wirtschaftskrise zum Verlustgeschäft zu werden.
Das Geschäft erschien den Nürnbergern wie eine Rettung aus der Not. Seit Jahren schon waren die Kassen der Stadt klamm, als ihr 1999 das amerikanische Steuersystem zur Hilfe kam. Nürnberg ging einen Handel ein, der auf den ersten Blick bizarr, auf den zweiten aber genial wirkte: Die Stadt verleaste für eine hohe Millionensumme ihr Kanalnetz sowie das Klärwerk für 99 Jahre an einen amerikanischen Investor. Gleichzeitig mietete sie die eine Anlage bis 2021, die andere bis 2029 zurück; danach sollten sie zurückgekauft werden.
Der Clou des „Cross-Border-Leasings“ (CBL): Die Amerikaner konnten den „Kauf“ in ihrer Steuererklärung abschreiben. Die Ersparnissen gaben sie zum Teil als „Barwertvorteil“ an die Partner in Deutschland weiter, drei bis vier Prozent der Investitionssumme. Die Nürnberger wiederum legten einen Teil des Kapitals aus dem „Verkauf“ bei Banken und Versicherungen in Fonds an, aus denen die Mietzahlungen beglichen werden. Ein weiterer Teil wurde dem amerikanischen Versicherer AIG anvertraut, der das Geld für den Rückkauf bereitstellen sollte.
Erst die Straßenbahn, dann das Trinkwassersystem vergoldet
Ein sicheres Geschäft, so dachte man, und ein profitables dazu: Rund 50 Millionen Euro Gewinn brachte die Transaktion der Stadt - eine „Win-win-Situation“. Auf eine ähnliche Art und Weise hatte man 1998 bereits einen Teil der städtischen Straßenbahn vergoldet.
Nürnberg blieb kein Einzelfall. Die Stuttgarter leasten ihr eigenes Trinkwassersystem, die Bottroper ihre Kläranlage, die Ulmer ihre Müllverbrennung. Wie viele Kommunen CBL-Verträge abgeschlossen haben, ist unklar - die Vertragspartner legen bis heute größten Wert auf Diskretion. Selbst die Bundesregierung erklärte unlängst, sie habe keinen Überblick über die Geschäfte. Experten schätzen aber, dass in Deutschland zwischen 150 und 200 Verträge existieren; etwa 100 Kommunen sind demnach an CBL-Geschäften beteiligt. Das Volumen der Verträge schätzt der Kölner CBL-Experte Werner Rügemer auf bis zu 100 Milliarden Euro.
Die Risiken wurden ausgeblendet
An mögliche Risiken dachte damals kaum jemand - auch nicht die Nürnberger. Schließlich wurden die Geschäfte von renommierten Instituten abgesichert, deren Bonität die Ratingagenturen als exzellent bewerteten. Auch sicherten die Partner einander in den Tausende Seiten dicken englischen Verträgen zu, dass die Kommunen faktisch Herr über ihr Objekt bleiben würden. Wer mochte bei diesem bombensicheren Geschäft noch das Kleingedruckte lesen?
Im Kleingedruckten stand, dass die Stadt die Haftung für die Bonität des Leasinggebers übernimmt und nach einem neuen Finanzierungspartner suchen muss, wenn der alte im Rating absinken sollte. Außerdem stand dort, dass jeder Vertragswechsel Millionen kostet und die Stadt selbst haftet, wenn ein Wechsel nicht gelingt.
Plötzlich war es Betrug
Kaum jemand las das Kleingedruckte. Umso härter war das Erwachen, als die amerikanische Regierung die CBL-Verträge 2004 als Scheingeschäfte und Betrug am Steuerzahler einstufte und Neuabschlüsse verbot. 2008 urteilte ein Bezirksgericht in Ohio in einem Musterprozess, die von den Investoren erlangten Steuervorteile seien rechtswidrig, weil der Eigentümerwechsel der Objekte nur vorgetäuscht sei.