Chefvolkswirt Jürgen Stark im Gespräch : „Der politische Druck auf die EZB ist enorm“
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„Regeln sind dazu da, gerade in Krisenzeiten Orientierung zu geben“: EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark will die Grundsätze der Geldpolitik nicht opfern. Ende Dezember verlässt er die Zentralbank Bild: Frank Röth
Chefvolkswirt Jürgen Stark verlässt die Europäische Zentralbank. Er sieht ihre Unabhängigkeit gefährdet und warnt in einem Abschiedsinterview vor der Gefahr der Inflation.
Herr Stark, Sie geben zum Jahresende nach fünfeinhalb Jahren Ihr Amt als Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank ab. Mit was für einem Gefühl gehen Sie?
Mit dem Gefühl, dass ich versucht habe, meinen Beitrag zu leisten, dass der Euro eine stabile Währung bleibt. Während meiner Zeit ist er das gewesen.
Sie gehen wie der frühere Bundesbankpräsident Axel Weber aus Protest dagegen, dass die EZB Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkauft. Sind Sie ein Märtyrer für einen stabilen Euro?
Keineswegs. Wieso auch? Ich habe mich entschieden, aus persönlichen Gründen zum Ende dieses Jahres auszuscheiden. Aber ich bleibe dem Projekt der gemeinsamen europäischen Währung verbunden. Immerhin habe ich dafür fast ein Vierteljahrhundert gearbeitet. Und ich werde - von anderer Stelle aus - dieses Projekt weiter begleiten und fördern.
Was werden Sie künftig machen?
Dazu möchte ich noch nichts sagen.
Warum war der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB für Sie und Axel Weber so ein unverzeihlicher Tabubruch?
Die Mehrheitsentscheidung des EZB-Rates ist zu respektieren, in dieser besonderen historischen Situation Staatsanleihen aufzukaufen.
Aber wo liegt die Gefahr?
Es geht weniger darum, dass der Anleihenkauf im Augenblick zu Inflation führt. Die EZB schöpft regelmäßig die Liquidität wieder ab, sie sammelt das ausgegebene Geld also gleichsam wieder ein. Wichtiger und problematisch ist, dass das Zinsniveau für Staatsanleihen durch den Anleihenankauf beeinflusst wird und damit einen fiskalpolitischen Effekt hat.
Warum?
Wir beeinflussen die Bedingungen, zu denen Regierungen sich verschulden können. Das ist absolut nicht unsere Aufgabe.
Warum ist es schlimm, wenn die Notenbank den Staaten hilft?
Es muss eine klare Aufgabentrennung zwischen Zentralbank und Regierungen geben. Die Zentralbank hat für Preisstabilität zu sorgen. Und es liegt in der Verantwortung der Regierungen, für angemessene Bedingungen für die Finanzierung ihrer Staatsausgaben zu sorgen. Wenn die Märkte seit einiger Zeit sensibler auf die hohe Verschuldung der Staaten reagieren und deshalb höhere Zinsen verlangen, ist es nicht die Aufgabe der Notenbank, das zu korrigieren.
Was ist dabei das Problem?
Wir wissen aus der Wirtschaftsgeschichte, dass es immer zu Katastrophen geführt hat, wenn eine Zentralbank in großem Stil Staaten finanziert hat. Das endet in Inflation. Nicht immer kurzfristig. Aber mittel- bis langfristig. Und es führt letztlich zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität.
Sie sagen, kurzfristig gibt es keine Inflation, weil die Notenbank den Anstieg der Geldmenge neutralisieren kann. Was ändert sich in der langen Frist?
Im Augenblick leiht die Notenbank den Banken so viel Geld, wie sie brauchen, weil sich die Banken untereinander kaum etwas leihen. Weltweit gibt es eine extrem expansive Geldpolitik. Das führt derzeit nicht zu Inflation, weil die Banken in der Krise das Geld nur sehr verhalten als zusätzliche Kredite an die Haushalte und Unternehmen weiterreichen. Das ändert sich, wenn die Wirtschaft eines Tages wieder besser läuft. Dann werden die Zentralbanken sehr schnell darauf reagieren müssen.
In Amerika unter Alan Greenspan haben niedrige Zinsen dazu geführt, dass sich bei den Immobilien eine Preisblase bildete. Kann das in Europa auch passieren?
Liquidität findet immer ihren Weg, sagen wir Notenbanker. Entweder steigen die Verbraucherpreise - oder die Vermögenspreise. Wir sehen bereits, dass die üppig verfügbare Liquidität auf den globalen Märkten zu höheren Inflationsraten in den Schwellenländern geführt hat. Und zu Preissteigerungen von über fünf Prozent in England und mehr als drei Prozent in den Vereinigten Staaten. Zugleich sind weltweit die Rohstoffpreise gestiegen, vor allem auch der Ölpreis.
Die Menschen in Deutschland fürchten nicht nur die Inflation. Sie haben Angst, dass den Europäern das Retten über den Kopf wächst. Am vergangenen Mittwoch hatte sogar Deutschland Schwierigkeiten, für seine Staatsanleihen Abnehmer zu finden.
Es gibt keinen Grund, die Schwierigkeiten bei der Auktion von zehnjährigen Anleihen der Bundesrepublik zu dramatisieren. Bedenken Sie: Die angebotenen Zinsen liegen unter der Inflation. Kein Wunder, dass die Anleger zögern.
Trotzdem: Mehren sich nicht die Zeichen, dass die Krise bei den Retterstaaten ankommt? Sogar Frankreich muss schon um sein Rating bangen.