Kreative Demonstrationen gegen aktuelle Wirtschaftspolitische Themen Bild: dpa
Campact heißt die Organisation, die den Widerstand organisiert gegen TTIP, Fracking und was sonst noch so ansteht. Die Aktivisten haben mehr Geld als Attac.
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Ein abgetrennter Gorillakopf wird in dieser Geschichte noch eine Rolle spielen. Was erstaunlich ist. Denn die Protestorganisation Campact, um die es hier geht, ist nicht dafür bekannt, sich für bedrohte Tierarten zu engagieren. Sie erregt gerade mit zwei ganz anderen Kampagnen Aufmerksamkeit: eine gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Amerika und eine gegen Fracking, die Förderung von Gas tief aus der Erde. Mit Tieren hat beides wenig zu tun. Eher mit Technik, Globalisierung, Wirtschaftspolitik.
Trotzdem begann das alles für den Mitgründer und Geschäftsführer Christoph Bautz mit einem abgetrennten Gorillakopf. Wer Bautz im Städtchen Verden an der Aller nahe Bremen besucht, wo seit zehn Jahren die Zentrale von Campact ist, dem erzählt er die Geschichte. Ruhig und nüchtern - erstaunlich leise für einen ein Mann, dessen Beruf der Protest ist.
Die Geschichte beginnt vor rund 30 Jahren. Christoph Bautz ging in die vierte Klasse in Darmstadt - und machte einen Ausflug an den Frankfurter Flughafen. Dort besuchten die Schüler auch eine Ausstellung des WWF. Gezeigt wurden Souvenirs bedrohter Tierarten, die man am Flughafen sichergestellt hatte. Unter anderem ein abgetrennter Gorillakopf. „Da wurde mir klar: Die Tiere, die ich so gerne mochte, die waren bedroht“, erzählt Bautz. Das war sein ganz persönliches Erweckungserlebnis. Daheim bestellte er sich Material vom WWF, trat bald der Jugendgruppe einer Naturschutz-Organisation bei. Seither steht fest: Er engagiert sich, protestiert gegen das, was ihm nicht passt.
Was soll das Freihandelsabkommen TTIP?
Was soll überhaupt herauskommen?
Für die EU führt die Verhandlungen – wie stets in Handelsfragen – die Europäische Kommission. Sie ist dabei an das Mandat gebunden, das ihr die EU-Staaten im Juni 2013 erteilt haben. Das inzwischen durchgesickerte geheime Mandat ist allerdings weit gefasst und lässt der Kommission viel Spielraum. Andererseits steht klar darin, dass ein hohes Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau gefördert werden soll. Ziel der Gespräche ist nicht nur, die schon heute niedrigen Zölle abzubauen, sondern auch andere Handelshemmnisse zu beseitigen. Im Blick haben beide Seiten dabei etwa unterschiedliche Standards. Das soll der Wirtschaft in Amerika und Europa mehr Schwung verleihen. Europa darf auf wirtschaftliche Zugewinne von 119 Milliarden Euro hoffen, Amerika auf 95 Milliarden Euro. Ob TTIP wirklich kommt, ist offen. Erst kommt die Präsidentschaftswahl in Amerika, dann die Bundestagswahl in Deutschland – viele Gelegenheiten für das Abkommen, gestoppt zu werden. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat das TTIP schon für tot erklärt – auch weil ihm diese Ankündigung es erleichtert, das Abkommen CETA mit Kanada in der SPD durchzusetzen.
Warum wird nicht alles veröffentlicht?
Immer wieder ist von Geheimverhandlungen die Rede, womit der Eindruck erweckt wird, dass hinter verschlossenen Türen über die Interessen der Bürger hinweg entschieden wird. Tatsächlich sind die Verhandlungsdokumente geheim. Das ist bisher bei allen Handelsgesprächen so gewesen. Die Kommission vergleicht die Verhandlungen gerne mit dem Feilschen beim Autokauf. Nur wenn der andere nicht wisse, welchen Preis man maximal zahlen wolle, könne man am Ende einen besseren Preis herausschlagen. Die Bundesregierung dringt zwar inzwischen auf mehr Offenheit – und wirft den Amerikanern vor, das zu blockieren. Wenn es darum geht, was sie offenlegen will, verweist sie aber nur auf das ohnehin durchgestochene Mandat. Vorab informiert über die europäischen Verhandlungsdokumente werden Vertreter der Staaten und des Handelsausschusses im EU-Parlament. Neu ist, dass bei TTIP Vertreter von Industrie und Zivilgesellschaft Einblick in Dokumente erhalten. Die Kommission hat dazu eine Beobachtergruppe aus 14 Vertretern einberufen.
Wer entscheidet am Ende, ob das Abkommen kommt?
Handelsabkommen müssen sowohl das EU-Parlament als auch die Staaten zustimmen – bei umfassenden Abkommen wie TTIP müssen die Staaten das sogar einstimmig tun. Sobald das Abkommen über reine Handelsfragen hinaus in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift, müssen es zudem die nationalen Parlamente ratifizieren. Die Hürde dafür ist sehr niedrig. Man spricht vom Pastis-Prinzip. So wie ein Tropfen des Anislikörs ausreicht, um ein Glas Wasser zu trüben, genügt ein Zusatzprotokoll oder ein Unterpunkt, um die Zustimmung der nationalen Parlamente erforderlich zu machen. Beim Abkommen mit Korea war das ein Protokoll zur kulturellen Zusammenarbeit. In Sachen TTIP können strafrechtliche Fragen oder der Schutz geistigen Eigentums relevant werden. Ob der Investorenschutz das Abkommen zustimmungspflichtig macht, ist umstritten. Die Kommission lässt gerade mit einer Musterklage für das Freihandelsabkommen mit Singapur klären, wo die Grenze liegt. Nach Ansicht des Juristischen Dienstes der Kommission ist Ceta ein reines EU-Abkommen. Aus politischen Gründen will sie nun aber die nationalen Parlamente abstimmen lassen – und muss das dann auch wohl eines Tages für TTIP vorschlagen. Theoretisch kann somit ein einziges nationales Parlament, etwa das Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, Ceta kippen.
Warum wird über "nichttarifäre Handelshemmnisse" verhandelt?
Nicht nur Zölle erschweren den internationalen Handel. Auch Vorschriften, wie Produkte getestet und geprüft werden müssen, welche Anforderungen an die Sicherheit, an den Verbraucher- oder den Umweltschutz sie erfüllen und welchen technischen Standards sie genügen müssen, können den Handel behindern. Ein Beispiel: In Amerika müssen die Blinker von Autos rot blinken, in Europa orange. Keine Variante ist sicherer als die andere – dennoch müssen deutsche Autobauer für den amerikanischen Markt Autos mit roten Blinkern herstellen. Die Industrie sagt, dass eine Angleichung der Regeln und Standards oder die gegenseitige Anerkennung die Kosten für den transatlantischen Handel stark senken könnten. Doppelte Produktzulassungen und Testverfahren erhöhen die Kosten nach Berechnungen eines niederländischen Instituts bei der Einfuhr in die EU um durchschnittlich 21,5 Prozent. Im Fall von Kosmetik sind es 35, bei Autos 26 und bei Nahrungsmitteln und Getränken gar 57 Prozent.
Unterhöhlt das den Umwelt- und Verbraucherschutz?
Die EU-Kommission bestreitet diesen Vorwurf ebenso energisch wie die amerikanischen Unterhändler. Der amerikanische Handelsbeauftragte Michael Froman sagt, es werde keine breite Deregulierungsagenda in Gang gesetzt. Die Idee ist vielmehr, Standards und Zertifizierungsverfahren gegenseitig anzuerkennen – wenn sie ein gleich hohes Schutzniveau garantieren. Zudem könnten im Fall von neuen Technologien die dazugehörenden Standards gleich gemeinsam entwickelt werden. Dabei ist klarzustellen: Es sind keineswegs immer die Europäer, die die höheren Standards haben. Zumindest haben die Amerikaner Sorge, dass sie etwa ihre Regeln für die Zulassung von Pharmazeutika und Elektrogeräten auf EU-Niveau senken müssen. Oft ist es auch eine Frage der Perspektive, welche Standards strikter sind. In der Bankenregulierung behaupten beide Seiten, die strikteren Standards zu haben. Wer recht hat, ist nicht immer leicht zu bestimmen.
Und was ist mit Chlorhuhn, Hormonfleisch und Gentechnik?
TTIP wird weder die Einfuhr von Chlorhuhn noch von Hormonfleisch erlauben. Dazu sind beide Themen viel zu problematisch. Die Europäer wollen schlicht kein mit Chlor desinfiziertes Huhn und Fleisch von mit Wachstumshormonen behandelten Tieren essen. Gentechnisch behandelte Lebensmittel dürfen schon heute in der EU verkauft werden, wenn sie gekennzeichnet sind – und auch das wird sich nicht ändern. Letztlich geht es in diesem Streit eher um die Frage „Was wollen wir essen?“ und nicht so sehr darum, welches Produkt sicherer ist. Zumindest gibt es bisher keinen Beleg dafür, dass Chlorhuhn ungesünder ist. Das Gleiche gilt umgekehrt für französischen Rohmilchkäse, den die Amerikaner aus Sorge vor Krankheitserregern nicht essen wollen. Deshalb wird jenseits von Chlorhuhn und Hormonfleisch wohl am Ende die Einfuhr von Lebensmitteln erlaubt werden, die nicht jedem Europäer „schmecken“. Den Import von mit Milchsäure gereinigtem Rindfleisch etwa hat die EU schon im Vorfeld der Verhandlungen zugelassen.
Besonders umstritten ist der Investorenschutz. Worum geht es da?
Der Investorenschutz soll eigentlich nur sicherstellen, dass Ausländer nicht diskriminiert oder gar enteignet werden. Es gibt weltweit Tausende von Abkommen dazu, allein Deutschland unterhält 131. In den meisten davon ist vorgesehen, dass Investoren Schiedsgerichte anrufen können, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen. In Verruf gekommen ist der Investorenschutz, weil Konzerne ihn immer stärker nutzen, um gegen unliebsame Gesetze und Auflagen der Industriestaaten vorzugehen. Zwei Fälle wurden dabei besonders diskutiert: die Klagen von Philip Morris gegen die Tabakgesetze in Australien und von Vattenfall gegen den Atomausstieg. 3,5 Milliarden Euro Schadensersatz fordern die Schweden von Deutschland. Ob Vattenfall Recht bekommt, ist allerdings offen. Philip Morris hat seine Klage in Australien verloren. Es reicht nicht aus, dass ihnen ein Gesetz zum Gesundheits- oder Umweltschutz die Bilanz verhagelt. Konzerne müssen belegen, dass sie benachteiligt wurden, etwa weil sie nicht ausreichend angehört worden sind. Die Kritik dreht sich auch darum, dass die Schiedsverfahren intransparent sind und es keine Möglichkeit zur Berufung gibt.
Wie reagieren Kommission und Bundesregierung auf die Kritik?
Die Kommission hat Vorschläge vorgelegt, wie sie den Missbrauch des Investorenschutzes durch Konzerne verhindern, die Verfahren transparenter machen und Berufungsverfahren ermöglichen will. Eine Idee ist ein unabhängiger Gerichtshof für Investorenschutzklagen – einst ins Spiel gebracht von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Deutschland hat selbst Investitionsschutzabkommen sogar mit anderen EU-Staaten wie Polen, Slowenien oder den baltischen Staaten abgeschlossen.
Heute - 30 Jahre später - ist Bautz einer der drei Geschäftsführer von Campact, einer Organisation, die professionell Proteste gegen alles Mögliche organisiert: von Stuttgart 21 über die schlechte Bezahlung von Hebammen bis zum Fracking. Die Organisation ist mittlerweile größer als das weitaus bekanntere globalisierungskritische Bündnis Attac Deutschland: Campact hat etwa gleich viel Mitglieder, aber mehr Geld.
Campact arbeitet mit anderen Bündnissen zusammen, springt dann auf, wenn die Sache heiß wird, bringt Schwung herein. Die Strategie: Mobilisierung übers Internet. Facebook, Twitter, die eigene Seite im Netz sind die Waffen - und ein Verteiler mit 1,4 Millionen E-Mail-Adressen. „So viele hat sonst keiner“, sagt Bautz. Campact nutzt den Verteiler, um Leute gezielt für Aktionen und Spenden anzusprechen - und um Aufmerksamkeit für die eigenen Online-Petitionen zu wecken.
Seine Macht zeigt Campact, wenn es darum geht, Unterschriften zu sammeln - die später einem Politiker übergeben werden. Von den 715.000 Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen, die im Mai 2014 von verschiedenen Organisationen an die Spitzenkandidaten im Europaparlament übergeben wurden, stammten 485 000 von Campact. „Es gibt Kampagnen eine Legitimierung, wenn Hunderttausende Leute unterschrieben haben“, sagt Bautz. Und im Internet kann man eben schneller sehr viele Unterzeichner gewinnen als in der Fußgängerzone. „Wir erreichen dort auch die Leute, die nicht in Bürgerinitiativen sind, aber gerne mal, wo es passt, aktiv werden“, sagt Bautz. „Der Online-Klick ist der Einstieg.“
Am wirkungsvollsten ist das, wenn der Protest viral wird, wenn die Kampagne hunderttausendfach über Facebook geteilt wird. Vor zwei Jahren war es für Campact noch gut, wenn 80.000 einen Appell unterschrieben hatten. Beim Thema Freihandelsabkommen sind es jetzt schon 611.000 Unterzeichner.
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Organisation Campact: Die Profi-Mobilisierer gegen den Freihandel
Organisation Campact
Die Profi-Mobilisierer gegen den Freihandel
Von Lisa Nienhaus
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